Zelldynamik unter blauem Laserlicht
Eine A549 Lungen-Epithel Zelle aufgenommen bei 405nm Wellenlänge und einem Polarwinkel von 63°. | © Foto: Dominik Huber

Zelldynamik unter blauem Laserlicht

Mit einem neuen Laser-Verfahren hat ein Team um Prof. Dr. Alexander Rohrbach vom Labor für Bio- und Nano-Photonik der Universität Freiburg einen Weg gefunden, kleinste Zellstrukturen ohne Fluoreszenz detailliert sichtbar zu machen.

25. April 2022 | von Rimma Gerenstein / Thorsten Naeser

Wenn Großstädte sich in der Dunkelheit in eine Lichterwelt verwandeln, lassen sie nur noch Umrisse erkennen. Ähnlich einer Stadt bei Nacht werden in der Fluoreszenzmikroskopie biologische Zellen mit Fluoreszenzfarbstoffen per Lichtschaltung in bestimmten Bereichen zum Leuchten gebracht. Allerdings ist dieses Leuchten für kleine, schnelle Objekte meist zu dunkel oder erlischt nach einiger Zeit. Mit einem neuen, im Labor für Bio- und Nano-Photonik der Universität Freiburg von Prof. Alexander Rohrbach entwickelten Ansatz haben er und sein Team einen Weg gefunden, kleinste Objekte ohne Fluoreszenz äußerst scharf sichtbar zu machen. Hierbei können zelluläre Strukturen oder virenartige Partikel 100- bis 1.000-mal länger, zehn- bis 100-mal schneller und mit nahezu doppelter Auflösung beobachtet werden als mit Fluoreszenzmikroskopie. Während Fluoreszenzmikroskopie „Nachtbilder“ von Strukturen aufzeichnet, nimmt die von den Freiburger Wissenschaftlern entwickelte Mikroskopie die „Tagbilder“ auf – Gegensätze, die sich gut kombinieren lassen. 

Die verwendete Technik heißt „Rotating Coherent Scattering“ (ROCS) und basiert auf einem blauen, schnell rotierenden Laserstrahl. „Wir nutzen mehrere aus dem Alltag bekannte physikalische Phänomene“, sagt Rohrbach. Kleine Objekte wie Moleküle, Viren oder Zellstrukturen streuen blaues Licht am stärksten, wie man es etwa von den Luftmolekülen in der Atmosphäre kennt und was wir als blauen Himmel wahrnehmen. „Kleine Objekte streuen und lenken etwa zehnmal mehr blaue als rote Lichtteilchen zur Kamera und übermitteln dadurch wertvolle Informationen“, erklärt Rohrbach.

Zudem wird bei ROCS ein blauer Laser sehr schräg auf die biologischen Objekte gerichtet, weil das Kontrast und Auflösung deutlich erhöht. Auch das ist aus dem Alltag bekannt: Bei einem schräg gegen das Licht gehaltenem Weinglas ist Schmutz besser erkennbar. Drittens beleuchten die Wissenschaftler das Objekt nacheinander von allen Seiten mit dem schrägen Laserstrahl, weil nur eine Beleuchtungsrichtung alleine viele Artefakte erzeugen würde.

100 Bilder pro Sekunde von lebenden Zellen

Die Freiburger Physiker und Ingenieure lassen den schrägen Laserstrahl hundertmal pro Sekunde um das Objekt rotieren und erzeugen so 100 Bilder pro Sekunde. „In zehn Minuten haben wir also bereits 60.000 Bilder von lebenden Zellen, die sich viel dynamischer präsentieren, als bisher angenommen“, sagt Rohrbach. Allerdings erfordern solche Dynamikanalysen von nur einer Minute Bildmaterial enorme Rechenleistungen von Computern. Hierbei mussten verschiedene Computeralgorithmen und Analyseverfahren erst noch entwickelt werden, um die Daten richtig zu interpretieren.

Zusammen mit seinem Mitarbeiter Dr. Felix Jünger und in Kooperation mit verschiedenen Freiburger Forschungsgruppen konnte Rohrbach die Leistungsfähigkeit des Mikroskops an verschiedenen Zellsystemen demonstrieren: „Es war nicht unser Ziel, schöne Bilder oder Filme von der unerwartet hohen Dynamik von Zellen zu erzeugen – wir wollten neue biologische Erkenntnisse gewinnen.” So konnte erstmals beobachtet werden, wie stimulierte Mastzellen in nur wenigen Millisekunden kleine Poren öffnen, um kugelartige Granulen mit unerklärlich hoher Kraft und Geschwindigkeit herauszuschießen. Die Granulen enthalten den Botenstoff Histamin, welcher später zu allergischen Reaktionen führen kann.

Virenartigen Partikel beobachtet

In weiteren Experimenten beobachteten die Forscher, wie virenartige Partikel in aberwitzigem Tempo um die zerklüftete Oberfläche von Fresszellen tanzen, um nach einigen Versuchen einen Anbindungspunkt an der Zelle zu finden. Diese Beobachtungen dienten als Vorversuche zu derzeit laufenden Studien zum Anbindungsverhalten des Coronavirus.

Außerdem wurde die ROCS-Technologie eingesetzt, um Narbenbildung bei Herzmuskelverletzungen zu untersuchen. Fibroblasten, also Zellen des Narbengewebes, bilden 100 Nanometer dünne Röhrchen aus, so genannte Nano-Tubes, die 1.000-mal dünner sind als ein Haar. Durch die neue Technik entdeckten die Forscher, dass diese Tubes auf winzigen Skalen thermisch vibrieren, diese Bewegung aber mit der Zeit nachlässt.

Zudem sahen die Wissenschaftler, wie die Filopodien – die „Finger“ von Fresszellen – in einer komplexen Zitterbewegung ihre Umgebung nach Beute abtasten und sich ihr Zytoskelett in einem bisher nicht bekannten Tempo verändert.

 

Originalpublikation:

Jünger, F., Ruh, D., Strobel, D., Michiels, R., Huber, D., Brandel, A., Madl, J., Gavrilov, A., Mihlan, M., Daller, C. C., Rog-Zielinska, E.A., Römer, W., Lämmermann, T.,Rohrbach, A. (2022):

100 Hz ROCS microscopy correlated with fluorescence reveals cellular dynamics on different spatiotemporal scales.

Nature Communications 13(1): 1758.

doi.org/10.1038/s41467-022-29091-0