Wegweiser für Nervenzellen
Mit Hilfe von Licht steuern Forscher der ETH Zürich Signalmoleküle, die wiederum die Richtung des Wachstums von Zellen beeinflussen. Ein spannender Ansatz für die Nervenheilkunde.
m Labyrinth hilft oft ein wenig Licht, um sich zu orientieren. Das haben sich auch die Forscher um Marcy Zenobi-Wong, Professorin für Gewebetechnologie und Biofabrikation am Departement Gesundheitswissenschaften und Technologie der ETH Zürich gedacht, um lebenden Zellen den Weg ihrer Ausbreitung zu weisen. Die Bioingenieure haben Signalmoleküle mit Hilfe von Laserlicht in einem Hydrogel positioniert. Diese so genannten Morphogene wiesen den Zellen anschließend den Weg, wohin sie wachsen sollen. Damit konnten die Wissenschaftler die Richtung des Zellwachstums steuern. Der Ansatz erlaubt einen tieferen Einblick in die Entwicklung von mehrzelligen Lebewesen. Er könnte in Zukunft auch bei neuen Therapien zum Einsatz kommen.
Dass sich aus einer einzigen Zelle hochkomplexe Organismen entwickeln, ist ein Wunder der Natur. Die Entwicklung wird u.a. von Morphogenen gesteuert. Diese Biomoleküle signalisieren den Zellen, wohin sie sich in ihrem Wachstum orientieren und was sie tun sollen. So steuern diese Signalmoleküle biologische Prozesse wie etwa die Bildung von Körperachsen oder die Verdrahtung des Gehirns.
Will man nun Zellen die Richtung ihres Wachstums vorgeben, so muss man die Signalmoleküle im dreidimensionalen Raum gezielt anordnen. Dazu hat nun eine Forschungsgruppe um Marcy Zenobi-Wong, Professorin für Gewebetechnologie und Biofabrikation am Departement Gesundheitswissenschaften und Technologie der ETH Zürich, eine neue Methode entwickelt. Die Bioingenieure haben mit Hilfe von Laserlicht Signalmoleküle in einem Hydrogel positioniert. Überall dort, wo das Laserlicht auf das Hydrogel traf, konnten die Signalmoleküle andocken. Die zuvor schon in das Hydrogel eingeschleusten Zellen erkannten die Signalmoleküle und wuchsen in deren Richtung.
Zeichnen mit Licht
Eines dieser molekularen Signale, nämlich der Nervenwachstumsfaktor, bestimmt die Richtung, in die die Nervenfasern wachsen. Ein dreidimensionales Muster dieses Nervenwachstumsfaktors haben die Wissenschaftler mit Laserlicht in das Hydrogel gezeichnet. „Genau an der Position, auf die das Licht gerichtet ist, wird eine chemische Reaktion ausgelöst, die den Nervenwachstumsfaktor im Hydrogel verankert, erklärt Dr. Nicolas Broguiere, der in der Gruppe von Zenobi-Wong am Projekt arbeitete. „Wir haben das Design des lichtempfindlichen Hydrogels so optimiert, dass sich die Signalmoleküle nur in den beleuchteten Bereichen anlagern konnten“, erklärt er weiter. Mit ihrem Ansatz können die Bioingenieure nun sogar einzelnen Nervenfasern von der Größe eines tausendstel Millimeters den Weg ihres Wachstums weisen und unter dem Mikroskop beobachten, wie die Neuronen dem vorgezeichneten Muster folgen. „So lenken wir Nervenzellen mit ihrer eigenen biochemischen Sprache“, freut sich Broguiere.
Orientierung für Nervenzellen
Zellen vorzugeben, in welche Richtung sie wachsen sollen, ist ein langgehegter Traum von vielen Biologinnen und Biologen. Mit dem neuen Ansatz der ETH-Forschenden kommen sie der Erfüllung dieses Traums einen großen Schritt näher. Für ihre Erfindung sehen Zenobi-Wong und Broguiere auch einen Nutzen in der Medizin: Wenn Nerven durch einen Unfall geschädigt werden, wachsen sie willkürlich zusammen, sodass ihre volle Funktion nicht wiederhergestellt wird. „Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, dass wir schon bald bereit sind, Patientinnen und Patienten mit unserem Ansatz zu behandeln“, sagt Zenobi-Wong. „Doch in Zukunft könnte eine Weiterentwicklung vielleicht dabei helfen, den Nervenzellen direkt im Körper den richtigen Weg zu weisen, sodass verletzte Nerven besser heilen.“
Originalpublikation
Broguière N, Lüchtefeld I, Trachsel L, Mazunin D, Rizzo R, Bode JW, Lutolf MP, and Zenobi-Wong M.
Morphogenesis guided by 3D patterning of growth factors in biological matrices.
Advanced Materials. (2020). doi: 10.1101/828947