Schöne Bilder – halbe Wahrheit
Gegenüberstellung einer retuschierten und unretuschierten Aufnahme mit Augenretusche. | © Fotografie aus: Clara Weisman, A Complete Treatise on Artistic Retouching, Modeling, Etching, Art and Nature, Art and Photography, Character, Chiaroscuro, Composition, Style and Individuality, Saint Louis 1903

Damnatio Memoriae

Der radikalste Eingriff ist wohl das Entfernen ganzer Bildelemente durch Ausschneiden, Abschaben und Übermalen von Teilen der Emulsionsschicht auf dem Negativ. Auf diese Weise können nicht nur Gegenstände, sondern ganze Personen aus dem Bild ausradiert werden. Dazu erzählt Dagmar Keultjes: „Während meiner Forschung stieß ich über das Entfernen von Staffagefiguren in Architektur- und Landschaftsaufnahmen auf das gezielte Entfernen von Personen indigener Minderheiten oder politisch in Ungnade geratenen Einzelpersonen. Diese Aufnahmen zeugen noch heute von Diskriminierung und Auslöschung.“

Fratelli Alinari, Porträt des Dante Alighieri, Albuminpapier, vor 1896, Photothek KHI, Inv. Nr. 289839 © Foto: Kunsthistorisches Institut in Florenz – Max-Planck-Institut

Anhand historischer und aktueller Beispiele aus dem Sammlungsbestand stellt die Online-Ausstellung der Photothek des Kunsthistorischen Instituts in Florenz Techniken der Retusche vor. Die Nachbearbeitung hat auch in der kunsthistorischen Dokumentarfotografie einen festen Platz, folgt aber strengen Kriterien, damit ihr dokumentarischer Charakter bewahrt bleibt. Denn das Thema berührt immer auch Fragen nach den Grenzen der Bildmanipulation, besonders dann, wenn die Fotografie im Dienste der wissenschaftlichen Dokumentation steht.

Wie ehrlich mit seinen Fotos ist nun der in den sozialen Medien gut vernetzte User? „Das ist eine Frage, die jeder für sich selbst beantworten muss“, meint Dagmar Keultjes. „Die Möglichkeiten der Bildbearbeitung sind enorm.“ Umso spannender für die Kunsthistorikerin ist die Überlegung, ob wir damit Bilder erzeugen, die unsere eigene Erinnerung verfälschen. „Jan Assmann beschreibt in seinem Buch „Das kulturelle Gedächtnis“ die Bedeutung, die Bildwerke für die Erinnerung haben, da sie Ideen versinnbildlichen, die dann im Gedächtnis gespeichert werden“, sagt Keultjes und fragt: „Setzen wir uns nicht einer persönlichen „visuellen Gedächtnisstörung“ aus, wenn wir unsere privaten Bilder retuschieren? Auf der anderen Seite – und das ist ein durchaus positiver Effekt – bieten die einfach zugänglichen Tools der Bildmanipulation gerade im privaten Bereich unendliche Möglichkeiten zur Kreativität.“

 

Online-Ausstellung:

Retusche. Bildmanipulationen in der Fotografie

Eine Online-Ausstellung der Photothek des Kunsthistorischen Instituts in Florenz – Max-Planck-Institut

Online zu sehen unter: photothek.khi.fi.it/documents/oau/00000311