Quantenphysik im Blattgrün
Illustration eines Ahornblattes mit Energiezuständen. | © Abbildung: Juergen Hauer

Quantenphysik im Blattgrün

21. März 2025 | von Nina Beier

Die Photosynthese – ein grundlegender Prozess für das Leben auf der Erde – birgt noch immer viele Geheimnisse. Ein Forscherteam um Prof. Jürgen Hauer an der TU München hat nun ein faszinierendes Detail entschlüsselt: Es konnte nachweisen, wie quantenmechanische Effekte die allerersten Schritte nach der Lichtabsorption im Chlorophyll beeinflussen.

Ohne sie wäre Leben auf unserem Planeten schlichtweg nicht möglich: die Photosynthese. Mit ihr wandeln Pflanzen Sonnenlicht in chemische Energie um. Aus Wasser und Kohlenstoffdioxid entstehen Zucker und Sauerstoff – ein scheinbar simpler Prozess mit enormer Bedeutung. Die Photosynthese bildet nicht nur die Grundlage unserer Nahrungskette, sondern versorgt uns auch mit dem Sauerstoff, den wir zum Atmen brauchen.

Ein zentraler Akteur in diesem Prozess ist das Molekül Chlorophyll. Der Blattfarbstoff absorbiert das Sonnenlicht und verleiht so Pflanzen ihre charakteristische grüne Farbe: Während rote und blaue Anteile aufgenommen werden, wird grünes Licht reflektiert und für uns sichtbar. Die Aufnahme des Sonnenlichts und die anschließende Energieübertragung innerhalb des Chlorophylls ist dabei der entscheidende erste Schritt in einer komplexen Kette von Reaktionen, die letztlich zur Umwandlung von Lichtenergie in chemische Energie führen.

Prof. Jürgen Hauer von der TU München und sen Team erforcshen, wie quantenmechanische Effekte die allerersten Schritte nach der Lichtabsorption im Chlorophyll beeinflussen. Foto: Andreas Heddergott / TUM

Genau diesen allerersten Schritt der Photosynthese hat nun ein Forscherteam der TU München um Jürgen Hauer in Zusammenarbeit mit Forschenden der LMU München, der Uni Innsbruck und der Queen Mary University of London entschlüsselt und die Ergebnisse im Fachmagazin Chemical Science veröffentlicht. „Der Energietransfer in der Photosynthese passiert im Zeitraum von Femtosekunden“, erklärt Jürgen Hauer. Das ist unglaublich schnell: Eine Femtosekunde verhält sich zu einer Minute so wie eine Minute zum Alter des Universums. „Durch unsere Messmethoden konnten wir einen Mechanismus finden, der diese schnellen Transferzeiten überhaupt erst ermöglicht“, so der Chemiker.

Die Erkenntnis: Um den ultraschnellen Vorgang zu erklären, reicht klassische Physik nicht aus. Hier kommt Quantenmechanik ins Spiel – ein Bereich der Physik, der das Verhalten der kleinsten Teilchen beschreibt.

Wenn Chlorophyll Sonnenlicht absorbiert, wird es in einen Zustand höherer Energie versetzt. Die Elektronen ordnen sich neu an, das Molekül ist „angeregt“. Bisher dachte man, dass die aufgenommene Energie nacheinander durch zwei verschiedene angeregte Zustände im Chlorophyll fließt. In ihren Experimenten konnten die Forschenden allerdings beobachten, dass diese zwei Zustände miteinander gekoppelt sind und ineinander übergehen können – und auf diese Weise eine effizientere und schnellere Übertragung der Energie ermöglichen. „Effektiv bilden sie dann einen neuen, gemeinsamen Zustand“, erläutert die Erstautorin der Studie Erika Keil. „Diese ganzen Prozesse kann man nur über Quantenmechanik zufriedenstellend beschreiben.“

Im Experiment konnten die Forschenden „live“ verfolgen, wie die Lichtenergie durch die verschiedenen Zustände des Chlorophyll-Moleküls wandert. Foto: Andreas Heddergott / TUM

Im Experiment konnten die Forschenden „live“ verfolgen, wie die Lichtenergie durch die verschiedenen Zustände des Chlorophyll-Moleküls wandert. Als Ausgangsmaterial diente Chlorophyll, welches die Innsbrucker Kollegin Simone Moser aus Tiefkühlspinat vom Supermarkt isoliert hatte.

Um das Chlorophyll zu untersuchen, verwendete das Münchner Forscherteam eine Methode namens „Transiente Absorptionsspektroskopie“. Dabei wird das Molekül mit einem kurzen Lichtpuls angeregt – allerdings nicht mit natürlichem Sonnenlicht, sondern mit einem präzisen, starken Laser. Ein zweiter Laserpuls misst dann, was nach dem ersten Puls im Molekül passiert ist. Dieser zweite Puls wird kurz nach dem ersten auf das Chlorophyll gerichtet und ermöglicht es so, den weiteren Weg der Energie im Molekül zu verfolgen.

Als Ausgangsmaterial diente Chlorophyll, welches die Innsbrucker Kollegin Simone Moser aus Tiefkühlspinat vom Supermarkt isoliert hatte. Foto: Andreas Heddergott / TUM

Diese Methode ist in der Wissenschaft weit verbreitet. Um den ultraschnellen Vorgang im Chlorophyll zu beobachten, musste das Team sehr kurze Laserpulse in der Größenordnung von Femtosekunden erzeugen. Das Prinzip ähnelt der Fotografie: Wer etwa den Flügelschlag eines Kolibris fotografieren möchte, benötigt ebenfalls eine sehr kurze Belichtungszeit. Doch die Vorgänge im Chlorophyll laufen nochmal deutlich schneller ab – rund 10 Billionen Mal so schnell!

Um die Ergebnisse aus den Experimenten zu verifizieren, simulierten Theoretiker der LMU München und der Queen Mary University of London den Vorgang am Computer. „Als wir unsere Messergebnisse mit den Simulationen verglichen haben und sie super übereingestimmt haben, haben wir uns sehr gefreut“, erinnert sich Erika Keil.

Die Entdeckung des Teams ist zwar nur ein kleines Puzzlestück im Gesamtbild der Photosynthese. Aber Jürgen Hauer betont: „Mich spornt es an, auch die frühen Details zu wissen. Das ist zum Beispiel entscheidend, wenn wir solche Systeme nachbauen wollen.“

So gibt es seit mehreren Jahrzehnten Bemühungen, Photosynthese technisch nachzuahmen, um auf diese Weise saubere Energie aus Sonnenlicht zu gewinnen. Die Ergebnisse des Forscherteams um Jürgen Hauer könnten dabei helfen, diesen Weg weiter voranzutreiben.

In Zukunft wollen die Forschenden ihre Methode erweitern, um die Photosynthese noch besser zu verstehen. Anstelle von isoliertem Chlorophyll in Lösung wollen sie dafür größere Strukturen untersuchen, in denen Photosynthese stattfindet.

Originalpublikation:

Keil E et al.

Reassessing the role and lifetime of Qx in the energy transfer dynamics of chlorophyll a

Chem. Sci., 2025,16, 1684-1695

doi.org/10.1039/D4SC06441K