Mit ultraviolettem Licht geknackt
Ein XUV-Laserpuls (pink) regt ein Sauerstoff-Molekül (orange) an, welches in verschiedene atomare Fragmente zerfällt, die von einem anderen XUV-Laserpuls (blau) „fotografiert“ werden. | © MPI für Kernphysik, Heidelberg

Mit ultraviolettem Licht geknackt

10. Mai 2024 | von Thorsten Naeser/ Umai Chibbaro Leiva

Forschern des Max-Planck-Instituts für Kernphysik in Heidelberg ist es gelungen, ein Sauerstoffmolekül mit einer Kombination aus zwei extrem ultravioletten Lichtquellen so anzuregen, dass es zerfällt. Diesen Zerfall konnten die Physiker in Echtzeit beobachten. Das könnte es künftig ermöglichen, komplexere chemische Reaktionen mit Licht aufzuzeichnen, zu verstehen und zu steuern. Ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg zur quantenmechanisch gezielten Kontrolle über chemische Reaktionen.

Vom Kleinsten bis zum Größten spielt das Licht eine fundamentale Rolle, wenn es darum geht, uns mit Informationen über unser Universum zu versorgen. Seit der Entwicklung der Spektroskopie (der Untersuchung der Absorption und Emission von Licht und anderer Strahlung durch Materie) und später der Erfindung des ersten einsatzfähigen Lasers im Jahr 1960 von Theodore Maiman gilt Licht als Schlüssel zu unserem Verständnis des Universums in seinen kleinsten Bestandteilen.

Einer Forschergruppe unter der Leitung von PD Dr. Christian Ott in der Abteilung von Prof. Pfeifer am Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg ist es nun erstmals gelungen, mit Hilfe zweier unterschiedlicher Lichtquellen im extremen ultravioletten Spektrum (XUV) einen quantenmechanischen Dissoziationsmechanismus in Sauerstoffmolekülen zeitlich aufzulösen. In dem Experiment geht es darum, wie kleine Atome und Moleküle mit hochfrequenter Strahlung interagieren und wie sie mit elektrischen Feldern der Laserpulse gesteuert werden können. „In unserem Experiment konnten wir die Dissoziation von Sauerstoff einschließlich Quantentunnelung und anderer Prozesse aus einem bestimmten elektronisch angeregten Zustand heraus auflösen“, erklärt Christian Ott.

Welche Rolle spielt dabei das XUV-Licht? Während an der Erdoberfläche sichtbares, ultraviolettes und infrarotes Licht dominieren, wird extremes ultraviolettes Licht, d. h. Strahlung mit höherer Energie, von der Atmosphäre absorbiert. XUV-Strahlung kann von der Laserphysik genutzt werden, um Elektronen in Molekülen selektiv anzuregen. Das bedeutet, dass bestimmte Elektronen im Sauerstoffmolekül einen „Schuss“ Energie erhalten, während andere unbeeinflusst bleiben.

Atome werden von den Elektronen zusammengehalten, die weiter vom Kern entfernt sind. Die Elektronen der inneren Schale befinden sich näher am Kern und sind weniger anfällig für Wechselwirkungen mit anderen Atomen im Molekül. Daher sind Elektronen der inneren Schale normalerweise nicht an chemischen Reaktionen beteiligt, die auf der Erdoberfläche stattfinden. Mit XUV-Strahlung können Wissenschaftler jedoch auf die Elektronen der inneren Schale „zeigen“ und so neue chemische Reaktionen ermöglichen, die in der Natur nicht vorkommen.

Wie haben die Forscher zwei extrem ultraviolette Lichtquellen kombiniert? Zum einen werden Laserpulse mit der High Harmonic Generation (HHG) Methode erzeugt, zum anderen mit einem Freie-Elektronen-Laser (FEL) in Hamburg (FLASH@DESY). Bei HHG wird Infrarotlicht durch eine Gaszelle geleitet und in XUV-Strahlung umgewandelt; die HHG-Pulse haben ein breites Frequenzspektrum und eine Dauer von einigen Femtosekunden, einem Millionstel einer Milliardstel Sekunde. Im FEL senden beschleunigte Elektronen XUV-Licht aus; die FEL-Pulse haben ein viel schmaleres Spektrum als die HHG-Pulse, aber eine ähnliche Dauer. Mit anderen Worten: In Analogie zum sichtbaren Bereich haben die HHG-Pulse eine größere Vielfalt an verschiedenen Farben, während die FEL-Pulse weniger Farben haben.

Die Elektronen des Sauerstoffmoleküls werden nun mit Hilfe von FEL-Pulsen in einen so genannten elektronisch-angeregten Zustand versetzt. Das bedeutet, dass das Sauerstoffmolekül instabil wird und in seine einzelnen Atome zerfällt, d.h. zwei O-Atome können sich voneinander entfernen. Dieser Spaltungsprozess wird als Dissoziation bezeichnet. Bisher war unklar, wie schnell dieser Prozess genau abläuft, da die Atome des Sauerstoffmoleküls auch einen „Quantentunnelungsprozess“ durchlaufen können. Beim Quantentunneln handelt es sich um einen quantenmechanischen Effekt, bei dem Teilchen Energiebarrieren durchdringen können, obwohl sie nach den Gesetzen der klassischen Physik dazu nicht in der Lage sein sollten. Darüber hinaus sorgen die FEL-Pulse dafür, dass genügend O2-Moleküle angeregt werden.

Durch das Hinzufügen eines zweiten HHG-Pulses mit einstellbarer Zeitverzögerung und unter Verwendung der Technik der transienten Absorptionsspektroskopie (eine Technik, die es den Wissenschaftlern ermöglicht, in diesem Fall die durch die Dissoziation der O2-Moleküle verursachten Änderungen der Lichtabsorption zu analysieren) haben die Heidelberger Wissenschaftler diese molekulare Dissoziation nun experimentell aufgezeichnet, d.h. den Dissoziationsprozess des Sauerstoffmoleküls „fotografiert“. „Die Identifizierung solcher Zustände ist relevant für ihre Reaktivität, um dann eine Reaktion mit einem anderen Atom oder Molekül durchzuführen. Das deutet auch auf die Möglichkeit hin, eine chemische Reaktion zu steuern, indem man bestimmte elektronische Übergänge anspricht“, erklärt Christian Ott.

Insgesamt ermöglicht dies ein besseres Verständnis der Wechselwirkungen kleiner atmosphärischer Moleküle mit Strahlungsquellen auf ultraschnellen Zeitskalen und trägt zu einem besseren Verständnis der molekularen Fragmentierungsdynamik bei, indem spezifische elektronische Übergänge in einem Molekül adressiert werden, erläutert Ott weiter.

Die Ergebnisse eröffnen einen neuen Weg zur Steuerung chemischer Reaktionen in Molekülen mit Licht sowie zum Verständnis und zur Kontrolle solcher Reaktionen. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, mit demselben experimentellen Ansatz verschiedene Fragen der Quantendynamik-Theorie in kleinen Molekülen und der Molekulardynamik in komplexen Systemen anzugehen.

Originalpublikation:

Magunia, A. et al.

Time-resolving state-specific molecular dissociation with XUV broadband absorption spectroscopy

Science Advances, 22 Nov 2023,

DOI: 10.1126/sciadv.adk1482