Ins rechte Licht gerückt
Claude Monets Werkserie der Kathedrale von Rouen
ie Darstellung von Licht und seinen atmosphärischen Stimmungen ist seit jeher ein zentrales Thema in der bildenden Kunst. Von der Umsetzung mythologischer Vorstellungen der Antike über die ausgefeilte, technisch anspruchsvolle Lichtführung der Alten Meister bis hin in die Gegenwartskunst, wo zunehmend echte Leuchtquellen zum Einsatz kommen: Immer wieder geht es darum, Motive Szenerien und Orte buchstäblich in das rechte Licht zu rücken. Im „Impressionismus“, einer Stilepoche des ausgehenden 19. Jahrhunderts, hat die facettenreiche Wiedergabe von Licht im Zuge des Bestrebens, die Eigentümlichkeit und Stimmung eines speziellen Augenblicks im Bild auf Dauer festzuhalten, einen Höhepunkt erfahren. Und so kam es, dass der weltberühmte Maler Claude Monet (1840-1926) auf dem Höhepunkt seines Schaffens sich ereiferte, eine ganze Serie von 33 Bildern der Kathedrale von Rouen im Licht unterschiedlicher Tageszeiten zu widmen.
Claude Monet gilt als einer der Hauptvertreter des „Impressionismus“ und Wegbereiter der Moderne, bekannt auch für seine eindrucksvolle Serie der Seerosenbilder. Ende des 19. Jahrhunderts verließen die Maler ihre Ateliers, um direkt vor Ort die Atmosphäre und den Glanz einer Lichtstimmung unmittelbar einzufangen. Dies erfordert eine zügige und simultane Malweise, die man deshalb als „nass-in-nass“- Malerei bezeichnet. Anstatt präzise Details auszugestalten, vermittelt der pastose und dynamische Farbauftrag der Bilder dieser Zeit einen lebhaft flirrenden Eindruck der Szenerie, ganz so als ob in der Unschärfe der Konturen die permanenten Veränderungen im Spiel von Wind, Licht und Schatten aufgreifen könnte.
Monets Werkserie der Kathedrale von Rouen entstand in den Jahren 1892-94. Zunächst mietete er sich bei seinem ersten Aufenthalt eine kleine Wohnung mit direktem Blick auf das Westportal der Kirche, später malte er direkt vor Ort. Dabei ging es ihm nicht in erster Linie um die präzise Wiedergebe der prächtigen Architektur aus dem 13. Jahrhundert, sondern um den Eindruck der Empfindung, wie das Licht zu den unterschiedlichen Tageszeiten die Formen der Fassade umspielte. Das zeigt sich auch In den fast identischen Bildausschnitten mit nur wenigen perspektivischen Abweichungen. Monet ging sogar dazu über, seine Vorzeichnung auf Leinwände drucken zu lassen, um sich ganz auf den speziellen und flüchtigen Moment der vorherrschenden Lichtverhältnisse konzentrieren zu können. Unermüdlich gab er die Kathedrale mal in einem milchigen, die Umrisse verschleiernden Morgennebel wieder oder in den Blau-Orange-Tönen der aufkommenden Morgensonne. Ein anderes Mal erstrahlt das Bauwerk im flirrend- gleißenden Mittagslicht oder auch im satten Glutrot der Abendsonne. Immer wieder griff er auch unterschiedliche Witterungsverhältnisse auf.
Während des Malens setzte er kleine unterschiedliche Farbflecke direkt nebeneinander, manchmal in nuancierten Abstufungen, dann wieder in kontrastreicher Farbigkeit. Erst mit etwas Abstand vermischen sich die Summe diese Farbpartien im Auge des Betrachters zu einem Gesamteindruck eines eindrucksvollen Licht-und Schattenspiels.
Am Ende entstehen weit mehr als 33 Bilder, wovon keines aufgrund des steten Wandels der Lichtverhältnisse eine Allgemeingültigkeit für sich in Anspruch nehmen kann. Doch Monet hadert mit sich und ist von Zweifeln geplagt, ob ihm eine geeignete Darstellung überhaupt gelingen könnte und zerstört selbst etliche Versionen. Heute wie damals gelten diese Bilder als Meisterwerke und zu den bedeutenden Schöpfungen dieser Epoche. Und sie sind ein wichtiger Schritt für die Entwicklung der Moderne. So schreibt der russische Maler Kasimir Malewitsch (1878-1935), ein Pionier der Abstraktion des 20. Jahrhunderts, voller Bewunderung über Monets Kathedrale von Rouen: „[Das ist] Malerei im eigentlichen Sinne, Bewegung und unendliches Wachsen farbiger Flecken, das hat noch niemand gesehen. […] Sein zentrales Ziel war nicht Licht und Schatten [...] Es geht nicht um die Kathedrale, sondern um die Malerei.“