„Es ist, als wäre man von einem superprotektiven Kokon umbegeben.“
Sie sind wahre Überlebenskünstler. Bakterien widerstehen Hitze und gedeihen in saurer oder salziger Umgebung. Sie überstehen sogar Reisen von vielen Tausend Kilometern. | © Foto: Armands Brants

„Es ist, als wäre man von einem superprotektiven Kokon umbegeben.“

10. Oktober 2025 | von Dr. Naama Lang-Yona und Dr. Ilana Kolodkin-Gal im Gespräch mit Thorsten Naeser

Sie sind wahre Überlebenskünstler. Bakterien widerstehen Hitze und gedeihen in saurer oder salziger Umgebung. Sie überstehen sogar Reisen von vielen Tausend Kilometern. Dr. Naama Lang-Yona vom Technion Israel Institute of Technology und Dr. Ilana Kolodkin-Gal von der Reichmann University in Israel, untersuchen, wie diese winzigen Organismen das schaffen. Die Forscherinnen haben herausgefunden, wie Bakterien auf der Oberfläche von Staubpartikeln überleben, die durch Wüstenstürme aus der Sahara und Ägypten nach Israel getragen werden. Im Interview mit Thorsten Naeser erklären sie ihre Entdeckung, welche Auswirkungen das auf den Menschen haben könnte und wie der Mensch davon vielleicht profitiert.

Als Mikrobiologinnen forschen Sie an Bakterien und ihre Überlebensstrategien. Was fasziniert Sie an diesen Organismen?

Ilana: „Die Mikrobiologieforschung ermöglicht es uns, technische Herausforderungen im Zusammenhang mit der Größe von Bakterien mithilfe von Genetik, Chemie, Datenwissenschaft und Ökologie zu überwinden. Die Auswirkungen unserer Erkenntnisse gewinnen zunehmend an Bedeutung. Mikrobielle Enzyme und Exopolymere werden in der Biomedizin und Lebensmittelindustrie eingesetzt. Bakterien werden eingesetzt, um lebenden Beton herzustellen, neuartige Medikamente zu entwickeln und die Produktivität von Nutzpflanzen zu steigern. Darüber hinaus faszinieren mich die grundlegenden Aspekte der Fähigkeit einzelliger Organismen, komplexe gemeinschaftliche Aktivitäten auf verschiedenen Ebenen zu koordinieren, oft effizienter und eleganter als mehrzellige Organismen.“

Naama: „Diese winzigen Organismen haben unglaubliche Fähigkeiten, sich an die extremsten Bedingungen anzupassen, die man sich vorstellen kann. Es gibt praktisch keinen Ort auf der Erde, der völlig frei von Bakterien ist – sie sind überall! Was mich wirklich inspiriert, ist, wie schnell sie sich anpassen und sich von rauen Bedingungen erholen, sowie ihre unglaubliche Vielfalt. Das gibt mir Hoffnung, dass wir von ihnen lernen, um Probleme zu lösen und sogar dazu beizutragen, eine geschädigte Umwelt wiederherzustellen. Wir müssen nur ihre Geheimnisse entschlüsseln.“

Dr. Naama Lang-Yona und Dr. Ilana Kolodkin-Gal. Foto: Alon Gilboa

Ihre aktuelle konzentriert sich darauf, wie Bakterien lange Reisen auf Sandkörnern überleben. Wie sind Sie dazu gekommen, gerade dieses Phänomen zu untersuchen?

Ilana: „Ich habe herausgefunden, dass mein Lieblingsmodellorganismus, Bacillus subtilis und verwandte Arten über die Luft transportiert werden. Nachdem ich die Forschung von Naama verfolgt habe, war ich motiviert, die molekularen Mechanismen zu identifizieren, die zu diesem Erfolg beitragen. Als Mikrobiologin, die sich mit Bodenbakterien beschäftigt, war ich begeistert von der Entdeckung, dass viele Bodenbakterien auch Teil des Luftmikrobioms sind, was die Forschung an ihnen auf eine neue Ebene ökologischer Komplexität hebt.“

Naama: „Mein Interesse gilt der Aeromikrobiologie. Wüstenstaubstürme, wie sie in Israel häufig vorkommen, sind gewaltige Ereignisse, die Material von einem Kontinent zum anderen transportieren. Ich wurde neugierig auf die Bakterien, die entweder unterwegs aufgenommen werden oder ihre Reise von der ursprünglichen Quelle in der Wüste beginnen.

Als wir diesen Staub sammelten, fragten wir uns, welche Arten von Bakteriengemeinschaften darin enthalten sind. Wir identifizieren sie, indem wir ihre DNA analysieren und mit Datenbanken bekannter Arten vergleichen. Das Problem ist jedoch, dass die DNA unglaublich stabil ist und jahrelang erhalten bleibt, sodass wir anhand des Erbguts nicht erkennen, welche Bakterien tatsächlich aktiv sind. Aus diesem Grund haben wir beschlossen, tiefer zu graben und uns auf das Leben in bakteriellen Gemeinschaften zu konzentrieren. Wir wollten verstehen, wie sie diese Reisen überleben.“

Mikroskopische Aufnahme einer Biofilmbildung auf einem Sandkorn unter feuchten Bedingungen.

Mit welchen Strategien schaffen es die winzigen Organismen, solche langen Strecken unbeschadet zu überstehen?

Ilana und Naama: „Es ist, als würden sich die Bakterien in einen superprotektiven Kokon zurückziehen. Dabei kommt es zu einer besonderen Art der Zellteilung, die einen unglaublich robusten Zelltyp hervorbringt, der Strahlung, völliger Trockenheit und extremen Temperaturen standhält. Deshalb finden wir diese Bakteriensporen oft auf Staubpartikeln.

Kürzlich haben wir jedoch eine weitere Strategie entdeckt: Bakterien bilden über den Staubpartikeln sogenannte Biofilme. Diese lassen sich als komplexe Matrix beschreiben, die verschiedene Bakterienzellen miteinander verbindet. Der Biofilm wirkt wie ein Klebstoff, der den Bakterien hilft, an Staubpartikeln zu haften, und die Zellen vor dem Austrocknen zu schützen.

Wir haben herausgefunden, dass diese Biofilm-Strategie Bacillus-Arten nicht nur beim Überleben hilft, sondern auch während des Transports durch Staubstürme mindestens 72 Stunden lang aktiv bleibt. Das ist beeindruckend, wenn man bedenkt, welchen harten Bedingungen sie ausgesetzt sind und dass sie sich bis zu 50 Mal am Tag teilen. Wir haben außerdem herausgefunden, dass Bakterien spezielle Moleküle produzieren, sogenannte Exopolymere, die die Überlebensfähigkeit der Gemeinschaft während der Reise verbessern. Spannend ist, dass unsere Ergebnisse darauf hindeuten, dass winzige Hohlräume innerhalb von Staubpartikeln, die wir als Mikronischen bezeichnen, bestimmte Bakterienarten begünstigen, sodass verschiedene Gemeinschaften auf einem einzigen Staubkorn gedeihen."

Wie ernähren sich Bakterien während ihrer turbulenten Reise?

Ilana und Naama: „Wow! Das ist die Millionenfrage. Wir sind noch dabei, dieses Rätsel zu lösen, aber wir haben einige Hinweise. Die Staubpartikel enthalten Spuren organischer Materialien, sodass sich die Bakterien gegenseitig und von den organischen Stoffen ernähren, die sie während ihrer Reise aufnehmen. Diese organischen Stoffe unterstützen die zuvor erwähnten Mikroaggregate und Biofilme.

Während der Sporenbildung fallen die Bakterien in einen Scheintod, in dem sie überhaupt nichts essen. Sie warten einfach ab. Bei den aktiven Bakterien, die Biofilmstrategien anwenden, vermuten wir jedoch, dass sie über mehrere Ernährungsansätze verfügen, die wir noch klären müssen. Wir sind wirklich gespannt, welche weiteren Ernährungsstrategien noch herauskristallisieren werden.“

Wie lange dauert es bis Bakterien solch innovativen Überlebensstrategien entwickeln? Wie schnell können sie sich anpassen?

Ilana und Naama: „Hier wird es wirklich faszinierend. Wir glauben an einen Selektionsprozess, der die anpassungsfähigsten Mitglieder der Gemeinschaft begünstigt. Die Überlebenden haben sich wahrscheinlich über mehrere Epochen hinweg so entwickelt, dass ihr Lebenszyklus eine Phase des Lufttransports umfasst. Sie sind in der Lage, rauen Bedingungen standzuhalten, UV-Strahlung zu überwinden und extreme Temperaturen zu ertragen, während sie ihre Gemeinschaften aufrechterhalten. Dadurch sind sie effizient bei der Anpassung an den Lufttransport."

Welche Auswirkungen könnte die Übertragung von Bakterien in ein anderes Ökosystem haben?

Naama: „Man kann sich das wie eine biologische Lotterie vorstellen. Wenn Bakterien an einem neuen Ort landen, könnten sie den Jackpot knacken und perfekte Bedingungen vorfinden, um in ihrer neuen Heimat zu gedeihen. Sie könnten aber auch an einem ungeeigneten Ort landen und aussterben. Einige könnten in einem Ruhezustand überleben und auf Zeit spielen, bis sich die Bedingungen verbessern oder bis sie vom Wind aufgefangen und an einen besseren Ort transportiert werden. Es ist eine Kombination aus Statistik und Wahrscheinlichkeiten, verbunden mit den Fähigkeiten, die Bakterien entwickelt haben, um extreme Bedingungen zu überleben.“

Bildung von Kolonien durch aus Staub gesammelte Bakterien bei verschiedenen Temperaturen. Das Bild zeigt, wie aus Staubstürmen isolierte Bakterien Kolonien bilden, wenn sie unter Laborbedingungen drei Tage lang bei verschiedenen Temperaturen von 17 °C bis 42 °C gezüchtet werden.

Wie könnten Menschen von diesem Phänomen profitieren?

Ilana: „Der Selektionsprozess, an dem Staub beteiligt ist, unterstreicht die Bedeutung von Innovation und Widerstandsfähigkeit der Bakterien. Die von uns isolierten Bakterien können für biotechnologische Anwendungen, bei denen Bakterien rauen Bedingungen standhalten müssen, wertvoll sein. Das reicht von der Wüstenlandwirtschaft bis zur Weltraumforschung. Darüber hinaus ist das mit Staubstürmen verbundene Mikrobiom noch nicht gut charakterisiert und könnte neue Gene und Prozesse offenbaren, die für das Wohlbefinden des Menschen genutzt werden könnten.“

Naama: „In einer Welt des Klimawandels und extremer Wetterereignisse könnten die bakteriellen Mittel zur Bewältigung dieser Bedingungen den entscheidenden Unterschied ausmachen.“

Originalpublikation:

Naama Lang-Yona, Ella Lahav, Hilit Levy Barazany, Talal Salti, LiatRahamim-BenNavi

Bacillus biofilm formation and niche adaptation shape long-distance transported dust microbial community

communications earth & environment 6, Article number: 551 (2025)

doi.org/10.1038/s43247-025-02534-4