Antiprotonen in Superflüssigkeit
Antiprotonisches Heliumatom im superflüssigen Zustand, das in flüssigem Helium schwebt. Das Antiproton ist durch die Elektronenhülle des Heliumatoms geschützt und vermeidet so den sofortigen Zerfall. | © Abbildung: Christoph Hohmann (LMU München / MCQST)

Überraschend schlanke Linien bei 2,2 Kelvin

Foto der Quadrupol-Triplett-Linse, die zur Fokussierung des Antiprotonenstrahls auf ein Helium-Target verwendet wird. Foto: CERN

In einer Reihe von zahlreichen Experimenten nahmen die WissenschaftlerInnen die antiprotonischen Helium-Atome bei unterschiedlichen Temperaturen unter die spektroskopische Lupe. Dazu bestrahlten sie die Helium-Flüssigkeit mit dem Licht eines Titan-Saphir-Lasers, das zwei markante Resonanzen der Antiprotonen-Atome bei zwei verschiedenen Frequenzen anregte. Die überraschende Entdeckung: „Sank die Temperatur unter die kritische Temperatur von 2,2 Kelvin – also 2 Grad Celsius über dem absoluten Nullpunkt –, bei der das Helium in einen superfluiden Zustand übergeht, verwandelte sich schlagartig die Gestalt der Spektrallinien“, berichtet Anna Sótér, die erste Doktorandin im Team des MPQ und inzwischen Assistenzprofessorin an der ETH Zürich. „Aus den bei höherer Temperatur sehr breiten und unregelmäßig geformten wurden schmale und gleichförmige Linien.“ Die superfluide Phase ist ein besonderer flüssiger Zustand, der unter anderem durch das Fehlen einer inneren Reibung gekennzeichnet ist. Das quantenphysikalische Phänomen ist typisch für Helium bei extrem tiefen Temperaturen. „Wie die markante Veränderung der Spektrallinien des Antiprotons in einer solchen Umgebung zustande kommt und was dabei physikalisch geschieht, wissen wir bislang nicht“, sagt der MPQ-Physiker. „Wir waren davon selbst überrascht.“

Doch die Möglichkeiten, die der Effekt bietet, sind weitreichend. Denn die Verschmälerung der Resonanzlinien ist so drastisch, dass sich bei einer Anregung mit Licht die sogenannte Hyperfeinstruktur auflösen lässt, berichten die Wissenschaftler in einer Veröffentlichung im Fachjournal „Nature“. Die Hyperfeinstruktur ist eine Folge der gegenseitigen Beeinflussung des Elektrons und des Antiprotons in dem Atom. Das deutet darauf hin, dass sich in supraflüssigem Helium andere hybride Heliumatome mit verschiedenen Arten von Antimaterie oder mit exotischen Teilchen erzeugen lassen könnten, um ihre Reaktion auf Laserlicht im Detail zu untersuchen und ihre Masse zu bestimmen. Ein Beispiel dafür sind pionische Heliumatome, die vor Kurzem im 590-Megaelektronenvolt-Zyklotron des Paul-Scherrer-Instituts in Villingen (Schweiz) mittels Laserspektroskopie untersucht wurden.

Hinweise auf die Dunkle Materie?

Zudem könnten die scharfen Spektrallinien hilfreich sein beim Nachweis von Antiprotonen und Antideuteronen in der kosmischen Strahlung. Ihnen sind ForscherInnen bereits seit Jahren auf der Spur, etwa mit Experimenten an Bord der Internationalen Raumstation ISS. Demnächst werden Wissenschaftler auch einen Testballon über der Antarktis starten – mit einem Instrument an Bord, das Antiprotonen und Antideuteronen aufspüren kann, die möglicherweise in sehr großen Höhen in der Atmosphäre existieren. Masaki Hori spekuliert: „Detektoren mit superfluidem Helium könnten solche Versuche unterstützen und wären geeignet, Antiteilchen aus dem All einzufangen und zu analysieren.“ Das würde womöglich zur Lösung eines anderen großen Rätsels beitragen: der Frage nach dem Wesen der Dunklen Materie – einer ominösen und bislang unbekannten Materieform, die nicht sichtbar ist, aber offenbar einen Großteil der Masse im Universum ausmacht. In einigen Theorien wird angenommen, dass bei der Wechselwirkung Dunkler Materie im Halo unserer Galaxie Antiteilchen entstehen, die dann zur Erde gelangen können. Ausgerechnet Antimaterie könnte so Licht in dieses Dunkel bringen.

 

Originalpublikation:

Sótér, A., Aghai-Khozani, H., Barna, D. et al.

High-resolution laser resonances of antiprotonic helium in superfluid 4He

Nature (2022)

DOI: www.mpq.mpg.de/6704081/03-superfluid-helium