Aliens des Ozeans
Ein besonderer Effekt der hawaiianischen Zwergtintenfische ist ihre Leuchtfähigkeit. Sie leben mit einer biolumineszenten Bakterienart in Symbiose. So emittieren sie nachts Licht und können sich im Mondlicht durch Produktion eines Gegenschattens vor Feinden schützen. | ©  Oleg Simakov / Hannah Schmidbaur, Universität Wien

Aliens des Ozeans

16. Dezember 2022 | von Susanna Fischerauer

Diese Meeresbewohner führen nicht nur ihre Artgenossen, sondern auch Forschende in die Irre: Die genetische Zusammensetzung von Tintenfischen löst seit Jahrzehnten Kopfzerbrechen aus. Wissenschaflter:innen der Universität Wien kommen der Entschlüsselung ihrer einzigartigen DNA jetzt einen großen Schritt näher und schaffen dabei eine wichtige Basis für weitere Untersuchungen.

Seit ca. 700 Millionen Jahren schweben sie wie schwerelos durch den Ozean. Sie haben eine Spannweite von teilweise zehn Metern, bringen bis zu volle 50 Kilo auf die Waage, wechseln ihre optische Erscheinung ca. tausendmal täglich und beeindrucken mit Intelligenz und Feinfühligkeit. Hinter diesem außergewöhnlichen Meeresbewohner verbirgt sich der Tintenfisch.

Verwirrend sind auch seine vielen Bezeichnungen – Tintenfisch, Oktopus, Kalmare - was ist denn nun „die richtige“? Der Tintenfisch gehört zur Gruppe der so genannten Cephalopoden (griech.: „Kopffüßer“), welche wiederum dem übergeordneten Stamm der Weichtiere (Mollusken) zugeordnet ist, dem auch Schnecken und Muscheln angehören. Kraken stellen eine Art Unterkategorie der Tintenfische dar und gehören zu den Achtarmigen Tintenfischen, auch Oktopusse genannt. Außerdem gibt’s noch zehnarmige Tintenfische, zu denen u.a. die bekannten Kalmare und Sepien zählen.

Wusstet ihr, dass Tintenfische über insgesamt drei Herzen verfügen? Und während wir Augen zum Sehen brauchen, reicht Kraken dazu ihre Haut. Diese enthält Opsin, ein Protein, das man auch in Sehpigmenten von Augen findet. Damit können sie ihre Tarnung blitzschnell und bis zu 177-Mal pro Minute an ihre Umgebung anpassen.

Seit Jahrzehnten versuchen Forschende das Gehirn der Tintenfische zu ergründen. Es ist nicht nur unglaublich komplex, sondern reicht von Kopf bis in die äußersten Spitzen ihrer langen Arme. Genauer Anfang und Ende sind unklar – das neuronale Netzwerk zieht sich durch den kompletten Körper der Kraken. Zwei Drittel ihrer insgesamt 500 Millionen Nervenzellen befinden sich in ihren Armen, sodass jeder Arm über eigene Steuerung und Sensorik verfügt. Kein Wunder also, dass diese Lebewesen gerne auch als Aliens des Meeres bezeichnet werden!

Um sich der hohen Komplexität der einzigartigen Lebewesen anzunähern, hat ein Team an Forschenden der Universität Wien rund um Oleg Simakov und Hannah Schmidbaur die Genome der Kopffüßer genauer unter die Lupe genommen. Eine große Herausforderung war die Entschlüsselung der Genome der Kopffüßer, welche bei Tintenfischen auffällig groß ausgeprägt sind. Neue genetische Werkzeuge ermöglichen nun, das gesamte Erbgut (Genom) von Kopffüßern unter die Lupe zu nehmen.

In beiden Studien wurden die Genome des kalifornischen Oktopus, des hawaiianischen Zwergtintenfischs und des Langflossen Küstentintenfischs herangezogen.

Die Ergebnisse zeigen mitunter auf, dass sich die Chromosomen von Tintenfischen stark von denen jeder anderen Tiergruppe unterscheiden. Das ist ungewöhnlich, denn tierische Chromosomen sind einander sehr ähnlich, auch wenn die Tiergruppen evolutionär weit voneinander entfernt sind.

Die Ergebnisse zeigen mitunter auf, dass sich die Chromosomen von Tintenfischen stark von denen jeder anderen Tiergruppe unterscheiden. Das ist ungewöhnlich, denn tierische Chromosomen sind einander sehr ähnlich, auch wenn die Tiergruppen evolutionär weit voneinander entfernt sind. Kopffüßer hingegen haben einen Weg gefunden, sich von diesem Muster zu lösen und völlig neue Kombinationen zu bilden. Während bei anderen Tiergruppen die Bausteine von Chromosomen gut erhalten geblieben und dadurch leichter entschlüsselbar sind, erscheinen die Chromosomen von Tintenfischen wie ein bunter Mix aus sämtlichen Bausteinen. Dadurch erschaffen sie einen ganz besonderen Karyotyp (Erscheinungsbild eines Chromosomensatzes), in dem die einzelnen (in der Grafik farbig dargestellten) Bausteine wie ein Mosaik der ursprünglichen und bei anderen Tieren vorhandenen Chromosomen aussehen.

Die Einblicke in diese einzigartige genomische Organisation von Kopffüßern eröffnet viele neue Forschungswege. „Durch unsere Forschung ist jetzt deutlich geworden, dass wir, um die Biologie der Kopffüßer zu verstehen, zuerst die genetischen Bausteine dieser Tiere verstehen müssen – und solche Bausteine scheinen sich radikal und oftmals von dem zu unterscheiden, was wir von anderen Tieren kennen“, so Schmidbaur von der Ecology and Evolution Doctoral school (VDSEE) der Universität Wien. Es bleibt also weiterhin spannend um die Entschlüsselung der mysteriösen Meeresbewohner!

 

Originalpublikation:

Caroline B. Albertin, Sofia Medina-Ruiz, Therese Mitros, Hannah Schmidbaur et al (2022). Genome and Transcriptome Mechanisms Driving Cephalopod Evolution. Nature Communications

DOI: 10.1038/s41467-022-29748-w.

Hannah Schmidbaur et al. (2022) Emergence of Novel Cephalopod Gene Regulation and Expression through Large-Scale Genome Reorganization. Nature Communications

DOI: 10.1038/s41467-022-29694-7