„So ist Physik - Man beobachtet und lernt“

„So ist Physik - Man beobachtet und lernt“

28. November 2016 | von Thorsten Naeser

Im rumänischen Oradea richtet der Physiklehrer Dr. István Bartos-Elekes jedes Jahr im Herbst einen Internationalen Physikwettbewerb aus. Jeder Gymnasiast kann teilnehmen. Auch Schüler aus Deutschland wären willkommen.

Die schweren, hölzernen Eingangstüren zum Gymnasium Ady Endre im rumänischen Oradea knarzen. Man braucht schon etwas Kraft um sie zu öffnen. Diese Türen hat István Bartos unzählige Male geöffnet. Mehr als zwanzig Jahre war er an der Schule als Physiklehrer tätig. Das 244 Jahre alte Gebäude ist direkt im Stadtzentrum, hinter dem Staatstheater. Gleich daneben liegt die Fußgängerzone mit gemütlichen Cafes und kleinen Läden.

Das Gymnasium und die Physik lassen István Bartos auch in seinem Ruhestand nicht los. Noch immer ist er der Schule verbunden. Noch immer begrüßt ihn in der Eingangshalle die Büste von Ady Endre, jenem Poet, der in Ungarn und im ungarisch geprägten Oradea auch eine Berühmtheit ist und nachdem die Lehranstalt benannt ist.

István Bartos ist gut gelaunt. Am Tag zuvor hat hier ein Physikwettbewerb stattgefunden, den er erfolgreich organisiert hatte. Mehr als 50 Schüler waren angereist um sich den Aufgaben zu stellen, die Bartos sich über drei Monate lang im Vorfeld ausgedacht hatte. Noch am gleichen Abend stand dann die große Siegerehrung auf dem Programm, mit Vorträgen von extra eingeladenen, renommierten Wissenschaftlern. In diesem Jahr begrüßte István Bartos einen neuen Gast auch, Prof. Ferenc Krausz aus München. Der Ultrakurzzeitphysiker vom Max-Planck Institut für Quantenoptik stellte den Schülern und den Lehrern die Attosekundenphysik vor. Jenes Forschungsfeld in dem die Wissenschaftler mit der Lasertechnologie tief in den Mikrokosmos blicken und das Verhalten von Elektronen erkunden.

Jetzt, am Tag nach dem Wettbewerb, sitzen Krausz und sein Gastgeber im altehrwürdigen Physiksaal des Gymnasiums gemütlich zusammen. Hier hat Bartos unterrichtet, hier fühlt er sich wohl. An den holzvertäfelten Wänden hängen Bilder die mit Stroboskoptechnik aufgenommen wurden. Ein alter Röhrenbildschirm, der zur computergesteuerten Schulklingel noch aus dem Jahre 1991 gehört, thront über ihnen. Ein massiver Versuchsaufbau zur Bestimmung der Gravitationsbeschleunigung hängt neben der Eingangstüre. Und István Bartos kommt schnell ins Erzählen.

„In diesem Jahr hat unser Physikwettbewerb zum 26. Mal stattgefunden“, sagt er stolz. „Wir hatten hier schon Teilnehmer aus Albanien, Moldavien und natürlich aus Ungarn.“ Gerne würde er auch mal Teilnehmer aus Deutschland begrüßen. „Alle sind willkommen!“, meint er. „Dann übersetzen wir die Aufgaben natürlich auch ins Deutsche“, bietet er spontan an. Ein Erlebnis ist die Teilnahme sicher. Alle schlafen im Gymnasium, einen Tag lang dauert der Wettbewerb, dann hat man Zeit Oradea zu erkunden, eine gemütliche Stadt in der an vielen Ecken die Zeit stehen geblieben scheint. Es gibt fantasievolle Cafes, viel Jugendstil-Architektur, genauso wie sozialistischen Baustil und dazu weitläufige Parks. Dazwischen verkehren Jahrzehnte alte, bunte Trambahnen, die einst in der DDR unterwegs waren.

Die Aufgaben im Physikwettstreit sind auf die Jahrgangsstufen zehn bis zwölf angepasst, daneben gibt es eine Kategorie für Studenten. Jede wird einzeln bewertet und die Gewinner geehrt. Es gibt einen Theorieteil und einen Experimentierteil. Beim Stichwort „Experiment“ kommt István Bartos in Bewegung und verlässt seinen Stuhl. Schnell baut er noch einmal den Versuch von gestern auf. Über eine schiefe Ebene lässt er ein Holzstück gleiten. Die Elektronik des Stroboskops schaltet bei dem ersten Blitz den Strom des Elektromagnets aus, der lässt das bisher zurückgehaltene Holzstück los und blitzt danach jede viertel Sekunde. Während der Gleitphase des Holzstücks nach unten wird mit einer Stroboskoptechnik ein Einzelbild angefertigt, darauf die Positionen des Holzstücks nacheinander. Die Positionen während der Blitze als Funktion der Zeit ergeben eine parabelähnliche Kurve. Hier ist das Problem! Diese Kurve ist nur ähnlich wie eine Parabel, die Aufgabe ist den Grund dieser winzigen Differenz zu ergründen.

„Bei diesem Experiment geht es darum zu beschreiben was man daraus lernen kann. Rechnen ist hier nicht wichtig“, sagt Bartos. „So funktioniert Physik, man beobachtet und lernt“.

István Bartos selber hat ein Faible für alles was mit Elektronik und Physik zu tun hat. Seit seinem Teenageralter ist das so. Seine Doktorarbeit basiert auch auf Elektronik. Vielen Schülergenerationen hat der dieses Wissen vermittelt. Selbst in den tiefsten Zeiten des Kommunismus ergriff er jede Gelegenheit Physik zu lehren. „Wenn ich Klassenleiter war, musste ich einmal pro Woche politische Bildung um sieben Uhr morgens unterrichten“, erzählt er. „Da habe ich immer Physik gemacht“, lacht er verschmitzt. Zum Glück hat ihn nie einer seiner Schüler verpfiffen. Ganz im Gegenteil: Noch heute hat er zu vielen seiner ehemaligen Schützlingen Kontakt. Und sie helfen ihm bei der Organisation des Wettbewerbs. Das alles geschieht ehrenamtlich und aus Leidenschaft für die Physik.

Nun geht es darum die Zukunft des Wettbewerbs zu sichern. „Bis zum 30. Jubiläum möchte ich noch weitermachen“, sagt Bartos. „Dann bin ich 80, dann sollten die Jungen ran“. Ohne Unterstützer wird es nicht funktionieren. Ferenc Krausz und viele andere sind von der Idee begeistert und haben ihre Hilfe zugesagt.

Und ganz am Ende lässt sich István Bartos noch erweichen einen Tipp zu geben, auf die Frage um was sich die Aufgaben im nächsten Jahr drehen werden. „Es wird viel um Optik und Elektronik gehen“, verrät er. Dann nimmt er einen überdimensionalen Schlüssel in die Hand und sperrt die Türen zu seiner ehemaligen Wirkungsstätte sorgsam zu.

<