„Seid neugierig!“
r war der berühmteste Wissenschaftler unserer Zeit. Stephen Hawking hatte eine Berühmtheit erlangt, wie heute nur Musiker oder Sportler. Jetzt ist Stephen Hawking im Alter von 76 Jahren in Cambridge verstorben.
„Ich möchte das Universum ganz und gar verstehen. Ich möchte wissen, warum es so ist, wie es ist, und warum es überhaupt existiert.“ Stephen Hawking wurde bis zu seinem Tod nicht müde, diesen Fragen nachzugehen. Der berühmte Astrophysiker machte keine Experimente, er dachte nach. Mit seinen Theorien entlockte er vor allem den Schwarzen Löchern ihre Geheimnisse. „Warum existiert das Universum und alle Gesetze der Natur?“, fragte er erst vor kurzem wieder einmal in einer Fernsehsendung. Kaum einem anderen Menschen hätte man zugetraut, dass er eine Antwort auf diese Frage finden könnte.
Schon als Student, Mitte der 1960er Jahre, erkrankte Hawking unheilbar an der seltenen Krankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS). Sie zerstörte sein Nervensystem. Seine geistigen Fähigkeiten waren davon allerdings nicht betroffen. Damals gaben ihm die Ärzte noch wenige Jahre zu leben. Doch diese Diagnose setzte in dem jungen Mann ungeahnte Kräfte frei. Wenige Jahre später, gefesselt an einen Rollstuhl und kaum zu einer Bewegung fähig, ließ er seine Gedanken schweifen in die unendlichen Weiten des Weltraums. Grenzen gibt es in diesen Dimensionen kaum noch. Und das war das Faszinierende an Hawking: Trotz seiner körperlichen Einschränkungen, schaffte er sich einen eigenen Kosmos aus Gedanken, die es ihm erlaubten, sich auf seine Art frei zu sein.
Hawking glaubte, dass es vor dem Urknall eine Art Vorläufer-Universum gegeben haben könnte, das kollabierte. Er entwickelte die Vorstellung der Singularität. Eine Singularität ist ein Punkt in der Raumzeit, an dem die Raumzeitkrümmung unendlich wird, also ein Punkt unendlicher Dichte und von unendlicher Winzigkeit, wie zum Beispiel der Zustand des Universums vor dem Urknall. Hawking erkannte, dass sich die Singularität in einem Schwarzen Loch und im Urknall mathematisch gleichen. So wie ein großer Stern zu einer Singularität zusammenstürzen kann, kann auf diese Weise das gesamte Universum aus einer Singularität hervorgegangen sein. Damit lieferte der britische Forscher eine wichtige mathematische Stütze für die Urknalltheorie, die sich im Jahr von Hawkings Doktorarbeit durchzusetzen begann.
Im Jahr 1974, folgte die Sensation: Hawking zeigte, dass Schwarze Löcher, Materie nicht nur verschlucken. Sie senden Strahlung aus und verdampfen langsam, bis sie irgendwann verschwunden sind. Die Strahlung erhielt den Namen Hawking-Strahlung. Bis dahin hatten Physiker angenommen, dass Schwarze Löcher so dicht sind, dass ihrer Anziehungskraft nichts entkommen kann, nicht einmal das Licht. Für die Hawking-Strahlung gelten die Gesetze der Quantenmechanik. Schwarze Löcher dagegen unterliegen den Regeln der Allgemeinen Relativitätstheorie. Beide Theorien zu einer großen Theorie zusammenzufügen, ist ein Traum der Physiker. Das Ergebnis wäre die große einheitliche Theorie, die „Weltformel“. Zwar hat auch Hawking sie nicht gefunden, aber seine Arbeiten waren ein großer Schritt in diese Richtung.
Hawking war auch auf einem anderen Gebiet ein Pionier seiner Zunft. Er wollte seine Gedanken einem Laienpublikum näherbringen, zu einer Zeit in der sich Wissenschaftler zumeist in ihrem Elfenbeinturm bewegten. 1988 erschien mit Eine kurze Geschichte der Zeit. Es war sein erstes populärwissenschaftliche Buch, in dem er die Theorien zur Entstehung des Universums, zur Quantenmechanik und zu Schwarzen Löchern darstellt. Das Werk wurde ein Bestseller und verkaufte sich millionenfach.
Und der große Physiker scheute sich auch nicht davor, die Popkultur zu bereichern. Er pokerte mit Data in StarTrek, erschien mehrmals bei dem Simpsons und unterhielt sich mit den Nerds in der Sitcom BigBang Theory.
In den letzten Jahren wurde Hawking immer mehr zum Mahner. Für ihn war es klar, dass die Menschheit schon in den nächsten 100 Jahren die Erde verlassen und neue Kolonien gründen muss, wenn sie ihren Fortbestand sichern will. „Unsere Gier und unsere Dummheit haben sicher nicht nachgelassen“, sagte er vor kurzem. Vor allem der Klimawandel bereitete ihm Sorgen. Aber auch genetisch veränderte Viren, Überbevölkerung, Nuklearwaffen und Asteroiden sind so bedrohlich, dass es zur Auswanderung eigentlich keine Alternative gäbe.
Hawkings Erkenntnisse über Schwarze Löcher, zur Geschichte des Universums und zur Allgemeinen Relativitätstheorie gehören zu seinen wichtigsten wissenschaftlichen Hinterlassenschaften. Aber es gab auch eine philosophische Seite. Das beweist ein kurzes Video, das kurz vor seinem Tod entstanden ist. Die Uni Cambridge veröffentlichte es post mortem. Hawking erscheint darin vor den Weiten des Universums, Sterne bewegen sich um ihn herum und er richtet seine letzten Worte an uns: „Es war eine großartige Zeit, um am Leben zu sein und Theoretische Physik zu erforschen. Erinnert Euch daran, nach oben zu den Sternen zu blicken und nicht auf Eure Füße.“ Doch die vielleicht wichtigste Botschaft hob sich der große Wissenschaftler bis zum Schluss auf: „Seid neugierig!“