Einsteins Pissoir
Auf dem Jugendfoto, das hier als Vorlage für die künstlerische Umsetzung diente, ist der später weltberühmte Physiker nicht leicht zu erkennen: Albert Einstein lebte als Kind und Jugendlicher in München in der Adlzreiterstraße 12. | © Foto: Thorsten Naeser

Einsteins Pissoir

Eine eigenwillige Gedenkstätte setzt dem Physiker mitten in München ein „frühes“ Denkmal.

10. Februar 2023 | von Veit Ziegelmaier

Was verbindet den weltberühmten Physiker Albert Einstein, Queen-Sänger Freddie Mercury und Kultregisseur Rainer Werner Fassbinder? Auf den ersten Blick wenig. Doch allen gemein ist, dass sie zeitweise im szenigen Münchner Glockenbachviertel lebten. Heute erinnern am Holzplatz in der Isarvorstadt drei überlebensgroße Konterfeis an die damalige Präsenz dieser unterschiedlichen Ausnahmetalente. Angebracht sind diese, als lebensnahe Grafitti umgesetzten Porträts, an einem aufgelassenen, unter Denkmalschutz stehenden Pissoir aus der Zeit um 1900. Hier sind die Granden unter sich und geben sich die Klinke in die Hand. Volksnaher als in diesem alltäglichen Straßenkontext kann man die hochgelobten Idole kaum darstellen.

Ursprünglich stand das gusseiserne Oktogon, das im Gegensatz zu heutigen Dixie-Toiletten ein wahres urbanes Schmuckstück in Form einer Sanitäreinrichtung darstellt, seit dem Jahr 1900 am Münchner Stachus. 1950 wurde es an den Holzplatz transferiert, in den 1990er Jahren schließlich aufgelassen und unter Denkmalschutz gestellt. Die Initiative hier einen Gedenkort für berühmte Persönlichkeiten der Isarvorstadt einzurichten, stammt von dem Münchner Künstler und Verleger Martin Arz und dem Wirt Thomas Zufall. In Zusammenarbeit mit der Stadt München konnte dieses Vorhaben 2020 realisiert werden. Die Graffiti, die an Tafeln auf dem ehrwürdigen Klohäuschen angebracht wurden, realisierte das Münchner Team für Gestaltung „Graphism“.

Während man Freddie Mercury und Rainer Werner Fassbinder, die beide etliche Jahre im Glockenbachviertel exzessiv lebten und kreativ wirkten, an ihrer charakteristischen Physiognomie relativ leicht erkennen kann, tut man sich bei Albert Einstein deutlich schwerer. Denn hier stand nicht eines seiner ikonisch gewordenen Altersporträts mit weißem Schnauzer und unbändigem Haarwuchs – von der keck herausgestreckten Zunge ganz zu schweigen – Pate für die künstlerische Umsetzung. Nein, es handelt sich tatsächlich um ein wenig bekanntes Jugendfoto, das den später epochal gewordenen Wissenschaftler als 14-Jährigen zeigt. Das lässt ihn zwar nicht gleich oder gar nicht erkennen, hat aber gute Gründe. Denn Albert Einstein lebte hier als Kind und Jugendlicher im Viertel in der Adlzreiterstraße 12. Als er ein Jahr war, verschlug es seine Eltern nach München, wo sein Vater Hermann zusammen mit dem Bruder Jacob die „Electrodynamische Fabrik J. Einstein & Cie.“ betrieb. Albert Einsteins direkte Verwandtschaft elektrifizierte damals nicht nur den Münchner Stadtteil Schwabing, sondern auch den „Schottenhammel“, das erste Bierzelt auf dem Oktoberfest!

Ab 1885 besuchte Albert die katholische Petersschule am Sendlinger Tor. Drei Jahre später wechselte er auf das Luitpoldgymnasium in der Müllerstraße 7. Seine dortigen Lehrer waren allerdings wenig von seiner Person angetan, was wohl auch am Verhalten und Betragen des Schülers gelegen haben mag. „Ihre bloße Anwesenheit verdirbt mir den Respekt der Klasse“, soll sein Klassenlehrer ihm gegenüber geäußert haben. Ursprünglich sollte Albert hier das Abitur ablegen. Aber es kam anders. Denn die Firma seines Vaters und Onkel ging pleite. In der Folge wurde der Firmensitz 1894 für einen Neuanfang nach Pavia in die Nähe von Mailand verlegt. Albert wurde vom Münchner Gymnasium abgemeldet und folgte seiner Familie nach Italien, von wo aus er seinen weiteren Lebensweg bestritt. Der Rest ist Geschichte.

Queen-Sänger Mercury lebte zwischen 1979 und 1985 fast ausschließlich in München im Glockenbachviertel. Foto: Veit Ziegelmaier

Spannend sind aber auch die Münchner Biografien seiner Pissoir-Mitstreiter. Für Queen-Sänger Mercury, der zwischen 1979 und 1985 fast ausschließlich in München weilte und im Glockenbachviertel lebte, war die bayerische Landeshauptstadt ein kreativer und in vielerlei Hinsicht willkommener Zufluchtsort, an dem der Weltstar abseits vom Trubel der Metropolen ganz er selbst sein konnte. Hier in den damals angesagten „Musicland“ - Studios am Arabellapark entstanden für die Rock-Band Queen etliche wegweisende Alben, die ihren Weltruf weiter zementierten. Darunter auch die Single „Crazy litttle thing, called love“, ihr erster Nummer 1 Hit in den USA, von Mercury in einer Münchner Badewanne ersonnen. Freddie lebte und liebte in München. Legendär bis heute ist seine ausschweifende queere Geburtstagsfeier im damaligen Nachtclub „Mrs. Henderson“, der heutigen Tanzbar „Paradiso“ in der Rumfordstraße 2. Die schrille und exzentrische Party mit dem Motto „Schwarz und Weiß“, zu der nur geladene Gäste Zutritt hatten, wurde in Filmdokumenten festgehalten. Später verwendete man dieses Material für das Video zu „Living on my own“, der Singleauskopplung aus Freddies erstem und einzigen Soloalbum, das wiederum in München produziert wurde.

Der Kult-Regisseur Rainer Werner Fassbinder lebte und wirkte bis 1978 in der Münchner Isarvorstadt. Foto: Veit Ziegelmaier

Fassbinder engagierte sich ab 1966 im avantgardistischen „Action-Theater“ in der Müllerstrasse 12, wo er sein Konzept des Antitheaters entwickelte. Soviel künstlerischer Aufruhr war den Münchner Behörden nicht geheuer und so wurde die Bühne zwei Jahre später schon wieder geschlossen. Der Regisseur blieb jedoch dem Viertel treu. Er verliebte sich und machte das heute noch in queeren Kreisen legendäre Lokal und Hotel „Deutsche Eiche“ (in dem auch schon Adolf Hitler residierte!) legendär, da er dieses mehrfach als Kulisse für seine Filme wie etwa „Lola“ verwendete. Nach einer privaten Tragödie verließ er 1978 das Glockenbachviertel.

Für alle Münchnerinnen und Münchner, aber auch Touristen, die dieses besondere Wahrzeichen der Bayerischen Landeshauptstadt noch nicht kennen, sei ein Ausflug zu dieser eigenwilligen Gedenkstätte, wo die Holzstraße auf die Pestalozzistraße trifft, empfohlen. Und irgendwie geht einem dabei unweigerlich beim Betrachter der drei Antlitze der Queen-Ohrwurm „We are the Champions“ nicht mehr aus dem Sinn.