Das Vergessen in Gehirnzellen visualisiert
3D-Rendering der Phasenkontrast-Röntgentomographie von Alzheimer-Neuronen (grün) und gesunden Zellen (blau). | © Gruppe von Prof. Paola Coan

Das Vergessen in Gehirnzellen visualisiert

Eine bisher nicht erreichte Qualität der Darstellung der Gehirnzellen von an Alzheimer erkrankten Mäusen haben Forscher:innen der Ludwig-Maximilians-Universität München mit Hilfe der Röntgen-Phasenkontrast-Computertomographie erreicht.

21. Oktober 2022 | von Thorsten Naeser

Immer besser versteht man, was im Gehirn vorgeht, wenn es an Alzheimer erkrankt ist. Durch das Absterben von Nervenzellen werden Menschen mit Alzheimer zunehmend vergesslich, verwirrt und orientierungslos. Bis heute ist Alzheimer unheilbar. Doch es gibt viele Ansätze, die Krankheit in den Griff zu bekommen. Dazu gehört auch das Verständnis der neuronalen Vorgänge, die sich dabei in unserem Denkorgan abspielen. Neue Erkenntnisse dazu hat nun ein Team um Prof. Paola Coan vom Lehrstuhl für Medizinische Physik und der Klinik und Poliklinik für Radiologie am LMU Klinikum in München mit Hilfe der Röntgen-Phasenkontrast-Computertomographie gewonnen. Über diese Bildgebung haben die Wissenschaftler einzigartige Einblicke in die Alterung und Neurodegeneration der Gehirnzellen von an Alzheimer erkrankten Mäusen gewonnen.

In den westlichen Industrienationen gehört Alzheimer zu einer der gefürchtetsten Krankheiten. Noch kann man lediglich den Verlauf der Degeneration der Gehirnzellen verlangsamen. Dennoch bleibt die Krankheit unheilbar. Hoffnung gibt es. Denn die Mechanismen von Alzheimer und seine Prozesse werden immer besser verstanden. Nicht zuletzt aufgrund ausgereifterer bildgebender Verfahren. Sie geben exakte Einblicke in die Vorgänge, die in einem Gehirn ablaufen, das an Alzheimer erkrankt ist. Zu diesen bildgebenden Verfahren gehört auch die relativ junge Röntgen-Phasenkontrast-Computertomographie. Mit ihrer Hilfe hat ein Team um Prof. Paola Coan vom Lehrstuhl für Medizinische Physik und von der Klinik und Poliklinik für Radiologie am LMU Klinikum in München nun Gehirnzellen von an Alzheimer erkrankten Mäusen untersucht und neue Einblicke in deren zellulären Prozesse gewonnen, die sich während des Verlaufs der Krankheit abspielen. An dem internationalen Projekt waren zwölf europäische Forschungseinrichtungen beteiligt, u.a. auch Forschende der LMU, des IRCCS Neuromed Institut in Pozzilli (IT) und der Sapienza Universität Sapienza in Rom.

Im Gegensatz zu herkömmlicher Röntgentechnologie eröffnet die Multi-Skala Röntgen-Phasenkontrast-Computertomographie die Möglichkeit, nicht nur Knochen, sondern auch röntgentransparente Objekte, wie weiches Gewebe, sensitiv abzubilden. Die LMU-Wissenschaftler:innen haben diese 3D-Bildgebungsverfahren genutzt, um originelle virtuell-histologische Arbeit an präpariertem Kleintierhirngewebe auszuführen und damit Alzheimer erkrankten Zellen dreidimensional und in ihrer nahezu natürlichen Umgebung darzustellen. Die Analyse ermöglichte es dem Team, die Zellalterung und Degeneration über einen längeren Verlauf detailliert zu verfolgen.

„Wir waren in der Lage, Datensätze zu erfassen, die die Neuroanatomie des gesamten Gehirns darstellen“, erklärt Paola Coan. Parallel dazu konnten die Wissenschaftler:innen einzelne Zellen sichtbar machen. „Dieser histologische Ansatz, der sich auf komplementäre Techniken und eine Multiskalen- und Multimodal-Bildgebungsplattform und insbesondere auf die hohe Empfindlichkeit der hierarchisch angewendeten Phasenkontrast-Bildgebung stützte, ermöglichte uns die dreidimensionale Visualisierung und Quantifizierung von Zellpopulationen in ausgedehnten sezierten Mäusegehirnproben, sowie die Identifizierung erkrankter Neuronen durch die Erkennung intrazellulärer Überdichte in den spezifischen Hirnschichten, die bei Alzheimer betroffen sind“, erklärt Dr. Giacomo Barbone, Erstautor dieser Publikation, weiter. Die Daten wurden auch mit Ergebnissen der Immunhistochemie, der Röntgen-Nanofluoreszenz, der hochaufgelösten Magnetresonanztomographie und der Ergebnisse der Transmissionselektronenmikroskopie korreliert.

Mit ihren Erkenntnissen haben die Forscher:innen eine bisher nicht erreichte Qualität der Darstellung von anatomischen und pathologischen dreidimensionalen Gehirnschichten - von der Organebene bis hin zur intrazellulären Ebene – erreicht. „Die Möglichkeit, ausgedehnte Populationen degenerierender Zellen des Hippocampus in tiefen Hirnschichten ohne Färbung und Sektion volumetrisch zu vermessen, ist neu und eine technische Meisterleistung“, erklärt Paola Coan.

Die neue dreidimensionale Untersuchungsmetode von Zellen, die sich in einem nahezu natürlichen strukturellen Zustand befinden, könnte nun genutzt werden, um neue medikamentöse Schutzstrategien zu erproben, die dabei helfen, dass Zellen nicht mehr von Alzheimer befallen werden.

 

Originalpublikation:

Giacomo E. Barbone, Alberto Bravin, Alberto Mittone, Alexandra Pacureanu, Giada Mascio, Paola Di Pietro, Markus J. Kraiger, Marina Eckermann, Mariele Romano, Martin Hrabě de Angelis, Peter Cloetens, Valeria Bruno, Giuseppe Battaglia & Paola Coan

X-ray multiscale 3D neuroimaging to quantify cellular aging and neurodegeneration postmortem in a model of Alzheimer’s disease

European Journal of Nuclear Medicine and Molecular Imaging July 19th 2022

DOI: doi.org/10.1007/s00259-022-05896-5

 

Weitere Informationen erhalten Sie von:

Prof. Dr. Paola Coan

LMU - Lehrstuhl für Experimentelle Physik - Medizinische Physik

Department für Klinische Radiologie der LMU

Am Coulombwall 1, 85748 Garching,

Tel.: 0049 89 289 14062

E-mail: Paola.Coan@physik.uni-muenchen.de

www.lmu-klinikum.de/radiologie/forschung/x-ray-diagnostics-a