Weniger als Nichts
Ein roter Laserstrahl fällt auf den atomar dünnen Kristall WSe2. Dabei wird das rote Licht des Lasers in ein blaues Leuchten umgewandelt. | © Abbildung: Felix Hofmann

Weniger als Nichts

Ein Physikerteam an der Universität Regensburg hat erstmals den Effekt von Elektronen mit negativer Masse in Halbleiter-Nanostrukturen gemessen.

15. Oktober 2021 | von Thorsten Naeser / Universität Regensburg

Die Dinge des Alltags kennen wir nur als positive Größe. Das Gewicht eines Gegenstands zum Beispiel. Warum Materie grundsätzlich positive Masse zu haben scheint, ist eines der ungelösten Rätsel der Physik. Was aber wären die Konsequenzen einer negativen Masse? Wie negative Masse im Mikrokosmos aussieht, hat ein internationales Team um Dr. Kai-Qiang Lin und Prof. Dr. John Lupton vom Institut für Experimentelle und Angewandte Physik der Universität Regensburg jetzt herausgefunden.

Materie setzt sich aus drei Elementarteilchen zusammen, den Atomkernen mit schweren Protonen und Neutronen sowie den leichten Elektronen. Das Gewicht eines Körpers wird vor allem durch die Atomkerne bestimmt. Während die Masse der Kerne eine feste Größe sind, wird die effektive Masse der Elektronen durch die Zusammensetzung des Materials, in dem sie sich bewegen, bestimmt. Die Masse wirkt sich direkt auf die elektronischen Eigenschaften eines Materials aus.

Bewegt sich ein Elektron nun durch einen Stoff hindurch, kommt es zu Kollisionen. Wie beim Autofahren, führen solche Stöße im Falle positiver Masse zu einer Verlangsamung der Bewegung. Das Elektron negativer Masse hingegen, verliert dabei zwar ebenso Energie, wird aber beschleunigt. Dieses Phänomen haben die Forscher nun erstmals beobachtet.

Dazu verwendeten die Wissenschaftler ein neuartiges Halbleitermaterial: Ein einziges, atomar dickes Blatt des Kristalls Wolframdiselenid. Wird das Material mit einem Laser bestrahlt, so beginnt es zu leuchten: Die Elektronen nehmen die Energie des Lasers auf und geben diese wieder in der charakteristischen Farbe Rot ab. Diese Farbe entspricht der fundamentalen Energie eines Elektrons im Halbleiter. Genauso wie Wasser stets bergab fließt, erwartet man auch, dass Elektronen mit höherer Energie stets diese niedrigere Grundenergie einnehmen und der Halbleiter somit immer rot leuchtet.

Das Team beobachtete jedoch einen erstaunlichen Effekt: Unter Bestrahlung mit einem roten Laser geben die Elektronen nicht nur rotes Licht ab, sondern auch blaues. Rotes Licht niedriger Energie wird also in blaues Licht mit höherer Energie umgewandelt. Durch eine genaue Betrachtung der farblichen Verteilung und Helligkeit dieses blauen Lichts, also des Lichtspektrums, lässt sich schließen, dass das blaue Leuchten von Elektronen mit negativer Masse herrührt. Diese erstaunliche Erkenntnis bewiesen die Forscher mit quantenmechanischen Rechnungen.

Die Beobachtung mag heute vielleicht noch ein wissenschaftliches Kuriosum sein. Doch etliche Anwendungen schweben den Wissenschaftlern bereits vor. So könnte das Konzept zur Entwicklung superschneller Computer beitragen, deren Elektronen sich nahezu widerstandsfrei bewegen.

Schließlich sollte es auch aufgrund der Tatsache, dass die Elektronen im Halbleiter scheinbar diskrete Energiezustände einnehmen, möglich sein, Konzepte der atomaren Quantenoptik direkt auf den Halbleiter zu übertragen. Damit könnten etwa neue elektronische Bauelemente entwickelt werden, welche die Lichtwellenlänge konvertieren, Licht speichern oder gar verstärken, oder auch als optische Schalter fungieren.

 

Originalpublikation:

K.-Q. Lin, C. S. Ong, S. Bange, P. E. Faria Junior, B. Peng, J. D. Ziegler, J. Zipfel, C. Bäuml, N. Paradiso, K. Watanabe, T. Taniguchi, C. Strunk, B. Monserrat, J. Fabian, A. Chernikov, D. Y. Qiu, S. G. Louie, and J. M. Lupton, Narrow-band high-lying excitons with negative-mass electrons in monolayer WSe2, Nature Communications DOI 10.1038/s41467-021-25499-2

Weitere Informationen:

www.physik.uni-regensburg.de/forschung/lupton Lupton Group