Mit den Augen eines Käfers
Ein Schwarzkäfer mit Minikamera auf seinem Rücken. | © Bild: Mark Stone/ University of Washington

Mit den Augen eines Käfers

12. August 2020 | von Thorsten Naeser

Eine neue Sicht auf die Welt haben sich Forscher der Universität von Washington geschaffen. Sie haben eine Minikamera gebaut, die größere Insekten auf dem Rücken tragen können.

Wie sehen Insekten ihre Umgebung? Was passiert in einem Kosmos, in dem wenige Zentimeter eine weite Strecke sind? Das können jetzt Forscher der Universität von Washington mit einer neuen Minikamera erkunden. Die Kamera wiegt etwa 250 Milligramm, nimmt Videos mit 1 bis 5 Bildern pro Sekunde auf und überträgt sie auf ein Smartphone. Die Optik sitzt auf einem mechanischen Arm, der sich um 60 Grad drehen lässt. Auf diese Weise erhält der Betrachter eine hochauflösende Panoramaaufnahme. Um die Vielseitigkeit des Systems zu demonstrieren, montierte das Team es auf den Rücken lebender Käfer.

„Wir haben ein drahtloses Kamerasystem mit kleinem Stromverbrauch und geringem Gewicht entwickelt, mit dem man beobachten kann, was vor einem lebenden Insekt passiert. Ebenso ist das System geeignet für kleine mobile Roboter“, sagt Prof. Shyam Gollakota, der Leiter des Projekts. „Bildgebung ist für Kommunikation und die Navigation essentiell“, so Gollakota weiter, „aber es ist äußerst schwierig, sie in so kleinem Maßstab zu realisieren.

Die US-Forscher sind die ersten, denen es gelungen ist eine Kamera in so kleinem Maßstab zu bauen. Mini-Kameras, wie sie in Smartphones verwendet werden, verbrauchen viel Strom, um hochauflösende Weitwinkelfotos aufzunehmen. Zwar sind die Kameras sehr leicht, aber die Batterien sind zu groß und schwer, als dass Insekten, oder insektengroße Roboter, sie herumschleppen könnten. Eine Lösung für das Problem musste her und die fanden die Forscher in der Natur.

„Ähnlich wie bei Kameras erfordert das Sehen bei Tieren viel Kraft“, sagt Co-Autor Sawyer Fuller. „Fliegen, zum Beispiel, verbrauchen 10 bis 20 Prozent ihrer Ruheenergie, um ihr Gehirn anzutreiben. Der größte Teil davon ist der visuellen Verarbeitung gewidmet. „Um den Aufwand zu senken, drehen die Tiere den Kopf, um mit besonderer Klarheit dorthin zu steuern, wo sie sehen möchten, z. B. um Beute oder einen Gefährten zu jagen. Dies spart Energie bei hoher Auflösung über das gesamte Gesichtsfeld.“

Um nun die Sicht der Insekten nachzuahmen, verwendeten die Forscher eine winzige Schwarzweißkamera mit extrem geringem Stromverbrauch, die mit Hilfe eines mechanischen Arms über ein Sichtfeld schwenkt. Der Arm bewegt sich, sobald die Forscher eine Spannung anlegen. Dadurch verbiegt sich das Material und die Kamera schwenkt in die gewünschte Position. Wenn keine Spannung mehr angelegt wird, bleibt der Arm etwa eine Minute in diesem Winkel, bevor er sich wieder in seine ursprüngliche Position entspannt. Das ähnelt der Art und Weise, wie Menschen ihren Kopf nur für kurze Zeit in eine Richtung drehen, bevor sie in eine neutrale Position zurückkehren.

„Der Vorteil der Bewegung der Kamera besteht darin, dass man eine Weitwinkelansicht des Geschehens erhält, ohne viel Strom zu verbrauchen“, sagt Vikram Iyer, Doktorand im Team. „Wir können ein sich bewegendes Objekt verfolgen, ohne die Energie aufwenden zu müssen, um einen ganzen Roboter zu bewegen. Die Bilder haben so auch eine höhere Auflösung als bei Verwendung eines Weitwinkelobjektivs, das ein Bild mit der gleichen Anzahl von Pixeln erzeugt, die über einen viel größeren Bereich verteilt sind. “

Die Ingenieure bauten zudem einen Beschleunigungsmesser ein, um zu erkennen, wann sich der Käfer bewegt. „Nur dann werden Bilder aufgenommen“, sagt Iyer. „Wenn die Kamera ohne diesen Beschleunigungsmesser kontinuierlich läuft, können wir ein bis zwei Stunden mit der Batterie aufnehmen. Mit dem Beschleunigungsmesser zeichnen wir je nach Aktivitätsniveau des Käfers sechs Stunden oder länger auf.“ Den Käfern sind die Experimente übrigens gut bekommen, alle haben die Sherpa-Dienste gut überstanden.

Die Forscher verwendeten ihr Kamerasystem auch, um den kleinsten terrestrischen, Roboter der Welt mit drahtloser Sicht zu entwickeln. Dieser insektengroße Roboter bewegt sich mithilfe von Vibrationen, er verbraucht in etwa die gleiche Leistung, die Bluetooth-Funkgeräte mit geringem Stromverbrauch für den Betrieb benötigen.

Das Team hofft, dass zukünftige Versionen der Kamera noch weniger Strom benötigen und batterielos und möglicherweise solarbetrieben sein werden. „Dies ist das erste Mal, dass wir von der Rückseite eines Käfers aus einen Blick haben, während er herumläuft. Es gibt so viele Fragen, die Sie untersuchen könnten, z. B. wie der Käfer auf verschiedene Reize reagiert, die er in der Umwelt sieht,“ sagt Iyer. Insekten können felsige Umgebungen durchqueren, was für Roboter immer noch eine große Herausforderung darstellt. „Das System kann uns also auch helfen, Proben aus schwer zu navigierenden Räumen zu sehen oder zu sammeln,“ meint Iyer.

Originalpublikation:

Vikram Iyer et al.:

Wireless steerable vision for live insects and insect-scale robots

Science Robotics 15 Jul 2020; Vol. 5, Issue 44, eabb0839

DOI: 10.1126/scirobotics.abb0839