Ein Mikroskop für Elementarteilchen
Elektronenverteilung im Inneren eines Kalziumfluorid-Kristalls. | © Bild: Christian Hackenberger

Ein Mikroskop für Elementarteilchen

21. Juli 2020 | von Sissy Gudat / Thorsten Naeser

Einem Team um den Laserphysiker Eleftherios Goulielmakis von der Uni Rostock ist es gelungen eine Technologie zu entwickeln, mittels der freie Elektronen im Inneren von Kristallen beobachtet werden können.

Der Blick auf Elektronen wird schärfer und schärfer: Ein neuartiges Lichtmikroskop mit einer Auflösung von einigen zehn Pikometern haben Laserphysiker um Prof. Eleftherios Goulielmakis vom Institut für Physik der Universität Rostock und dem Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching, zusammen mit Mitarbeitern des Institutes für Physik der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Peking entwickelt. Dabei regten die Forscher Elektronen in Atomen zur Abgabe von Strahlung an. Diese Strahlung verriet wiederum die Anordnung der Elektronen in Kristallen. Die Experimente ebnen den Weg zur Entwicklung einer neuen Klasse von laserbasierten Mikroskopen.

Seit der Erfindung des Lichtmikroskops durch Antonie van Leeuwenhoek im 17. Jahrhundert ist der Menschheit eine neue Welt im mikroskopisch Kleinen aufgegangen. Doch gibt es eine prinzipielle Grenze, die von der Lichtmikroskopie nicht überschritten werden kann. Alles, was kleiner als Bakterien ist, kann mit Licht nicht aufgelöst werden. Der Grund dafür ist seit dem Ende des 19. Jahrhunderts bekannt. Er wurde von Ernst Karl Abbe entdeckt. Mit sichtbarem Licht kann man nur Objekte erkennen, deren Größe der Wellenlänge des Lichtes entspricht, die etwa einige zehntausendstel Millimeter beträgt. „Um Elektronen zu sehen, müssten die Mikroskope ihre Vergrößerungskraft um ein paar tausend Mal erhöhen können“, erklärt Eleftherios Goulielmakis.

„Um das Innenleben des atomaren Mikrokosmos zu verstehen, nutzen Wissenschaftler seit Jahrzehnten Laserlichtblitze. Solche Laserblitze können ultraschnelle mikroskopische Prozesse im Inneren von Festkörpern verfolgen. Doch noch lösen Laserblitze die Elektronen nicht räumlich auf“, sagt Goulielmakis. Das heißt man kann nicht sehen, wie Elektronen den winzigen Raum zwischen den Atomen in Kristallen einnehmen und wie chemischen Bindungen gebildet werden, die die Atome zusammenhalten.

Um diese Beschränkung zu überwinden, gingen Eleftherios Goulielmakis und seine Mitarbeiter einen anderen Weg. Sie entwickelten ein Mikroskop, das so genannte Pikoskop, das mit Laserpulsen arbeitet. „Ein starker Laserpuls zwingt Elektronen in kristallinen Materialien dazu, selbst zu einem „Fotografen“ des umgebenden Raums zu werden. Wenn der Laserpuls in das Innere des Kristalls eindringt, packt er ein Elektron und versetzt es in eine schnelle, wackelnde Bewegung. Wenn sich das Elektron bewegt, spürt es den Raum um sich herum, genau wie ein Auto die unebene Oberfläche einer holprigen Straße spürt", erklärt Harshit Lakhotia, Doktorand in der Garchinger Forschungsgruppe von Goulielmakis, die Idee. Wenn die lasergetriebenen Elektronen eine von anderen Elektronen oder Atomen erzeugte Unebenheit überqueren, werden sie abgebremst. Der damit verbundene Energieverlust wird als Strahlung einer bestimmten Frequenz ausgesendet, die viel höher ist als die des Laserlichtes. „Indem wir die Eigenschaften dieser Strahlung analysieren, können wir die Form dieser winzigen Höcker ableiten und Bilder berechnen, die zeigen, wo die Elektronendichte im Kristall hoch oder niedrig ist", sagt Dr. Hee-Yong Kim, Physiker aus der Arbeitsgruppen Extreme Photonik am Institut für Physik der Universität Rostock und fährt fort: „Das Laser-Pikoskop kombiniert die Fähigkeiten ins Innere undurchsichtiger Materialien wie mit Röntgenstrahlen zu blicken mit der Fähigkeit, freie Elektronen zu sondieren, was mit Rastertunnelmikroskopen nur auf Oberflächen möglich ist“.

Der theoretische Festkörperphysiker Sheng Meng vom Physikalischen Institut in Peking ergänzt: „Mit einem solchen Mikroskop, das in der Lage ist, die Dichte der freien Elektronen zu sondieren, können wir vielleicht schon bald die Grenzen unserer rechnergestützten Werkzeuge der Festkörperphysik überwinden. Wir können moderne, dem Stand der Technik entsprechende Modelle optimieren, um die Eigenschaften von Materialien immer genauer vorherzusagen.“

Jetzt arbeiten die Forscher daran, die Technik weiterzuentwickeln. Sie planen, Elektronen in drei Dimensionen zu sondieren und die Methode an einer breiten Palette von Materialien zu erproben. Eleftherios Goulielmakis ist optimistisch, bald vielleicht nicht nur Bilder, sondern ganze Videos von den Vorgängen im Innern der Materie zu gewinnen: „Da die Laser-Pikoskopie leicht mit zeitaufgelösten Lasertechniken kombiniert werden kann, könnte es bald möglich sein, echte Filme von Elektronen in Materialien aufzunehmen. Dies ist ein lang ersehntes Ziel in den ultraschnellen Wissenschaften und bei der Mikroskopie von Materie.

 

Originalpublikation:

E. Goulielmakis, H. Lakhotia, H.-Y. Kim, M. Zhan, S. Hu und S. Meng. Laser picoscopy of valence electrons in solids. DOI: 10.1038/s41586-020-2429-z.

Link: www.nature.com/articles/s41586-020-2429-z