Die Kunst der Quantenwelt

Die Kunst der Quantenwelt

17. Juli 2017 | von Thorsten Naeser

Eine ganz besondere Form der Kunst entsteht bei der graphischen Darstellung von Messungen in der Ultrakurzzeitphysik. In allen Nuancen des Regenbogens leuchten geometrische Gebilde. Konzentrische Kreise erstrahlen in den Farben des Regenbogens und sternförmige Gebilde breiten sich vor tiefschwarzem Hintergrund aus. Der Quantenkosmos ist bunt und von einer ganz eigenen Schönheit.

Ultrakurzzeitphysiker Matthias Kling produziert mit seinem Team bei Experimenten nicht nur unfassbar große Datenmengen, sondern auch ungewöhnlich farbenprächtige, graphische Darstellungen. Die Physik wird bunt und lebendig, sie lässt sogar Kunstformen entstehen.

„Die bunten Bilder beruhen auf experimentellen Messungen quantenmechanischer Vorgänge“, erklärt Matthias Kling. Er ist Professor für Ultraschnelle Nanophotonik an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). Kling erkundet mit seinem Team aus Laserphysikern, wie sich Elektronen in Atomen, Molekülen und Nanostrukturen verhalten, wenn sie in Wechselwirkung mit intensivem Licht treten.

Wenn die Physiker eine wissenschaftliche Fragestellung bearbeiten, dann verwenden sie Lichtblitze, die nur wenige Millionstel einer milliardstel Sekunde dauern (Femtosekunden), oder sogar noch tausend Mal kürzer sind (Attosekunden). Solch kurze Lichtblitze lassen die Forscher auf Atome oder Moleküle treffen und beobachten mit einer Kamera die Reaktionen der Teilchen. Die Physiker wollen verstehen wie der Mikrokosmos funktioniert.

„Die Bilder aus der Quantenwelt entstehen meist mit einer Kamera mit einem Megapixel Auflösung“, erläutert Kling. „Wir nehmen rund 1000 Bilder pro Sekunde auf.“ Die Messungen dauern meist viele Stunden, manchmal auch mehrere Tage. Damit wird die Datenmenge gigantisch und die Physiker stoßen an die Grenzen der Speicherkapazität gängiger Festplatten.

© Kling/Schneider

Matthias Kling nimmt ein Bild, das vor ihm auf dem Schreibtisch liegt, in die Hand. Es zeigt konzentrische Wellenformen, die entstehen, wenn man einen Stein ins Wasser wirft. „Hier haben wir zum Beispiel ein C60Kohlenstoff-Fulleren untersucht. Fullerene sind hohle, geschlossene Moleküle. Sie sehen aus wie Fußbälle, nur sind sie 300 Millionen-Mal kleiner“, erklärt Kling. Die Physiker haben auf diesen Verbund aus Kohlenstoffmolekülen Femtosekunden-lange Laserpulse auftreffen lassen. Zunächst regt das Laserfeld quantenmechanische Zustände in den Fullerenen an. „Von diesen werden dann Elektronen mit sehr charakteristischen Eigenschaften emittiert, und im Experiment nachgewiesen. Dadurch entstehen Bilder, aus denen wir wiederum auf die quantenmechanischen Vorgänge in der Licht-Materie-Wechselwirkung schließen können“, erläutert Kling weiter. Die Anzahl der beobachteten Elektronen ist farblich dargestellt. Rot und Gelb lassen auf eine hohe Anzahl schließen, blau auf eine niedrige.

Sternenbild

Ein weiteres Bild, das bei Experimenten des Teams um Matthias Kling entstanden ist, zeigt eine Licht-Materie-Wechselwirkung, die knapp 900 Attosekunden dauert. Ein sternförmiges Gebilde präsentiert einen Ausschnitt aus der Wechselwirkung von Edelgasatomen mit einem Laserfeld, das insgesamt rund 40 Femtosekunden dauert und aus ultravioletten und infraroten Licht zusammengesetzt ist. „Zu sehen ist der Rückstoß, den Ionen durch die im Laserpuls wegfliegenden Elektronen erhalten“, erklärt Wilhelm Frisch, Student in der Arbeitsgruppe von Matthias Kling. Kurz zuvor hat dieser Laserpuls die Elementarteilchen aus den Edelgasatomen herausgelöst.

Nun steuert der Laserpuls, dessen elektromagnetisches Feld sich von links nach rechts durch Zusammensetzung der beiden spektralen Anteile verändert, die Elektronen. „Das elektrische Feld des Lichtblitzes variiert dabei in einer Sekunde rund eine Million Milliarden Mal. Darauf reagieren die negativ geladenen Elektronen in dem Lichtpuls. Sie wackeln von oben nach unten“, erklärt Frisch weiter.

Innerhalb der 40 Femtosekunden, die der Laserpuls dauert, wiederholt sich die Verteilung der Elektronen. Die Physiker können das Geschehen dadurch bis auf wenige Attosekunden auflösen und beweisen, dass man die Elektronen mit Attosekunden-Genauigkeit steuern kann.

„Je mehr Informationen wir aus der Licht-Materie-Wechselwirkung herausziehen, umso tiefer können wir in den Mikrokosmos vordringen und kleinste Details verstehen“, erläutert Matthias Kling. „Mit den graphischen Darstellungen überprüfen wir auch gängige Theorien. Manchmal finden wir sogar heraus, dass es noch gar keine Theorie gibt, mit der die experimentellen Daten direkt simuliert werden könnten“, sagt Kling weiter. „Unsere Bilder führen daher auch zur Weiterentwicklung der theoretischen Physik und damit zu Fortschritten in der Beschreibung der Quantenwelt.“

Und ganz nebenbei können diese graphischen Darstellungen ästhetische ansprechend, ja sogar schön sein. So schön, dass man sie glatt als Bilder an Wänden aufhängen könnte.